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Im Programmentwurf der Grünen wird die Dringlichkeit des Klimaschutzes unterstrichen – Kernbotschaft der Grünen eben. Quelle: dpa

Das Programm der Grünen – hehre Ziele, inkonsistente Umsetzung

Aus wirtschaftspolitischer Sicht wollen die Grünen ihre Ziele vor allem mit einem größeren Staat erreichen. Dass sie in ihrem Kernthema Klimaschutz der internationalen Dimension wenig Beachtung schenken, ist eine fahrlässige Inkonsistenz ihres Wahlprogramms.

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Der Programmentwurf der Grünen für die Bundestagswahl lässt wenig Zweifel, wie künftig wirtschaftspolitisch agiert werden soll: Staatliche Subventions- und Ausgabenprogramme bilden flankiert von regulatorischen Eingriffen wie erwartbar das Grundgerüst für den versprochenen Umbau zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft. Marktliche Anreizsystemen spielen allenfalls eine Nebenrolle oder sind politisch gelenkt. Vieles davon brächte keinen dramatischen Bruch mit der heutigen Politik, es würde nur die bestehende Tendenz zu einer höheren Staatsquote im Wirtschaftsgeschehen auf die nächste Ebene heben.

Traditionelle Grünen-Wähler tun sich damit nicht schwer, und auch in anderen Lagern dürfte es genügend potenzielle Wählerinnen und Wähler geben, die ein solches Szenario nicht per se schreckt. Das Vertrauen in den Staat ist gerade in Deutschland traditionell groß, seine Kassen waren in den vergangenen Jahren voll. Warum also nicht einen politischen Farbenwechsel wählen? Revolutionen sehen anders aus. Partei und Kanzlerkandidatin kommunizieren professionell und erfrischend.

Die Dringlichkeit des Klimaschutzes ist evident, und auch das Wahlvolk gewichtet das Ziel offenbar zunehmend hoch. Im Programmentwurf springt es einem aus fast jeder Zeile entgegen – Kernbotschaft der Grünen eben. Alle anderen Politikfelder sollen sich Klima- und Umweltschutz sowie bestimmten Gerechtigkeitszielen unterordnen.

Problematisches Mikromanagement

Doch gerade wer Klimaziele als dringlich ansieht, sollte es problematisch finden, dass die grünen Wahlkämpfer bei all ihren guten Intentionen eindeutig zu kurz springen und auf problematische Instrumente setzen. Im Zentrum stehen staatliche Vorgaben für Grenzwerte, Reduktionsziele und Produktionsstandards. Ein solches Mikromanagement verteuert die Klimapolitik unnötig und senkt die internationale Anschlussfähigkeit. Zwar nennt die grüne Spitzenkandidatin Annalena Baerbock erfreulicherweise auch höhere Preise für CO2-Emissionen als ein Instrument, um klimaschützendes Verhalten zu fördern. Doch dieses von vielen wirtschaftspolitischen Fachleuten als besonders effizient angesehene Mittel wird im Wahlprogramm explizit als „ein Instrument von vielen“ abgetan. Der Preisanstieg soll politisch vorgegeben werden. Der entsprechende Textabsatz strotzt vor Misstrauen gegenüber einer durch Preissignale gesteuerten Verhaltensanpassung von Verbrauchern und Unternehmen.

Die eklatanteste Leerstelle klafft im grünen Wahlprogramm allerdings bei Konzepten für eine verstärkte globale Kooperation im Klimaschutz. Da für die Lösung dieses wichtigsten Problems unserer Zeit zweifelsfrei weder eine deutsche noch eine europäische Kraftanstrengung ausreichen, ist das fahrlässig und gefährdet potenziell das angestrebte Ziel. Allenfalls Finanzhilfen aus Deutschland für grüne Projekte im Ausland werden genannt. Die Grünen plädieren für ein europäisches – und zur Not auch nur deutsches – vorbildhaftes Voranschreiten, das für andere Standards setzen soll.

Die Angst ist ja berechtigt, dass in langwierigen internationalen Abstimmungsprozessen wertvolle Zeit für den Klimaschutz verrinnt. Aber zumindest darf die aktuelle Klimapolitik hierzulande dann nicht Türen verschließen und Hürden aufbauen für eine internationale Kooperation.

von Sonja Álvarez, Max Haerder, Christian Ramthun, Cordula Tutt, Silke Wettach

Internationale Instrumente fehlen

Doch genau das passiert: Das Mercosur-Abkommen mit südamerikanischen Staaten wird als klimaschädlich bedingungslos abgelehnt. Mit den Grünen soll es auch keine Ratifikation des CETA Abkommens mit Kanada geben, obwohl dieses seit bald vier Jahren vorläufig in Kraft ist, und keine der befürchteten Nebenwirkungen aufgetreten sind. Internationale Kooperation soll es nur in grünen Herzensanliegen geben. In der Handelspolitik stellen die Grünen hingegen zahlreiche neue, moralisch motivierte Barrieren auf. Die ideologisch bei den Grünen tief verankerte Ablehnung internationaler Handelsabkommen würde einer Bundesregierung unter grüner Beteiligung und damit der EU einen wichtigen Hebel aus der Hand schlagen, dringend benötigte globale Allianzen für den Klimaschutz zu schließen, vor allem mit Schwellen- und Entwicklungsländern. Auch mit entwickelten Ländern wie Korea haben Handelsabkommen dazu geführt, dass nachhaltiger produzierte Importprodukte solche mit schlechteren Bilanzen vom EU-Markt verdrängt haben.

Die Geringschätzung eines CO2-Preismechanismus durch die Grünen beschädigt ein weiteres, potenziell wichtiges Instrument, um eine internationale Koordination in der Klimapolitik zu ermöglichen. Setzen sich CO2-Emissionspreise international durch, entschärft das die Notwendigkeit, Handelsbarrieren aufzubauen. Denn damit müsste sonst die einem strengen CO2-Regime unterworfene heimische Wirtschaft vor ausländischer Konkurrenz geschützt werden, die keine vergleichbaren Auflagen hat. Die USA zögern bislang, doch China baut bereits ein eigenes Emissionshandelssystem auf, mit Großbritannien muss ohnehin eine Lösung gefunden werden. Emissionspreise wären ein viel leichter implementierbares und effizienteres Instrument für die internationale Koordination der Klimapolitik, als wenn sich die großen Wirtschaftsräume auf vergleichbare Auflagen und Grenzwerte für alle international verknüpften Sektoren einigen müssten. Die künftige Bundesregierung und die EU sollten sich deshalb an die Spitze einer Bewegung setzen, die international für Emissionspreise und die Bildung eines Klimaclubs wichtiger Handelspartner eintritt, statt die Preislösungen als Sonderweg von Marktfetischisten klein zu reden.



Eine Klimafestung hilft dem Klima nicht

Zwar umgarnen die Grünen in ihrem Wahlprogrammen an mehreren Stellen die Industrie und betonen die Bedeutung der dortigen Arbeitsplätze für Deutschland. Doch eine unilaterale Klimapolitik, die Europa zu einer vermeintlich vorbildhaften Klimafestung ausbaut, droht nicht nur Industriearbeitsplätze in der EU zu zerstören und internationale Gegenwehr auszulösen. Sie befördert auch die Verlagerung von CO2-intensiver Produktion in andere Weltregionen und verbilligt dort das Verfeuern fossiler Brennstoffe. Europas Wohlstand wäre geschwächt und das Ziel des Klimaschutzes konterkariert. Wer Klimaschutz als globale Aufgabe ernst nimmt, muss jeden klimapolitischen Ansatz darauf abklopfen, ob er die Anreize für globale Kooperation stärkt oder schwächt. Das ist mit den grünen Vorschlägen offensichtlich nicht geschehen. Gerade weil der Klimaschutz nicht warten kann und internationale Zusammenarbeit notwendig ist, sind unilaterale Maßnahmen der falsche Weg.

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In ihrem Studium und den Anfängen ihrer politischen Karriere hat Annalena Baerbock durchaus internationale Schwerpunkte gesetzt. Es wäre also zu wünschen und zu hoffen, dass sie diese Kompetenzen und Blickwinkel in die grüne Klimapolitik einbringt. Jüngst hat sie die Bedeutung einer Kooperation von EU und USA in diesem Feld unterstrichen. Gut so. Dem Wahlprogramm, mit dem sie voraussichtlich antritt, fehlt diese Dimension weitgehend. Wer sich die Kompetenz zur Lösung eines globalen Problems auf die Fahnen schreibt, springt mit solchen Politikvorschläge zu kurz und vergrößert potenziell die Probleme eher, als sie einzudämmen. Wer als Alternative eine ambitionierte Klimapolitik gekoppelt mit Wohlstand und wirtschaftlicher Gestaltungsfreiheit anbieten will, dem lässt das grüne Wahlprogramm genügend unbespielten Raum.

Mehr zum Thema: Top-Ökonom Gabriel Felbermayr kehrt zurück nach Wien. Im Podcast zieht er Bilanz zu seiner Zeit in Deutschland und spricht über die deutsche Inzidenzhysterie, Staatsgläubigkeit, das Programm der Grünen – und erklärt, warum woanders längst nicht alles besser ist.

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