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Die Gefahr von rechts ist dieses Jahr besonders präsent. Quelle: imago images

Wird 2024 der Tipping-Point für die Demokratie in Deutschland?

Die AfD ist eine Gefahr für Demokratie, Wirtschaft und Wohlstand. Darin sind sich die meisten Unternehmen einig. Wie verhindert man aber, dass Rechtsextremisten die anstehenden Wahlen gewinnen? Eine Kolumne.

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In gut zwei Monaten, am 9. Juni 2024, findet die Europawahl statt. Es dauert also nicht mehr lange, bis die Wahlwerbung der zugelassenen Parteien, allen voran deren Plakate, unsere Städte und Straßen zieren. In Deutschland stehen im Herbst zusätzlich Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg an.

Historiker und Politikwissenschaftler werden 2024 vermutlich als „Tipping Point“ der Demokratie in Deutschland bezeichnen. Diese vier Wahlen werden darüber entscheiden, ob die rechten Parteien in den Parlamenten noch stärker werden. Oder ob es der Demokratie gelang, sich erfolgreich gegen die rechten Strömungen zur Wehr zu setzen. Wie auch immer das ausgeht: Es ist ein Tipping Point von allergrößter Bedeutung – für unsere Demokratie und unsere gesamte Wirtschaft.

Der Deutschlandfunk fragt: „Können Rechtspopulisten und Rechtsextreme nach der Europawahl zur führenden politischen Kraft in Europa werden? ‚An uns kommt im nächsten Europaparlament niemand mehr vorbei!‘, hieß es vollmundig beim Europa-Parteitag der AfD in Magdeburg. Auch in anderen EU-Mitgliedstaaten fahren rechtspopulistische und rechtsextreme Parteien Erfolge ein. In Schweden und Finnland sind sie Juniorpartner in der Regierung mit Christdemokraten, in Italien stellen die Fratelli d'Italia mit Giorgia Meloni die Regierungschefin. In den Niederlanden gingen die Rechtspopulisten um Geert Wilders als stärkste Kraft aus den Parlamentswahlen hervor.“



Ausgerechnet im Vorfeld der Europawahl macht der Begriff „Remigration“ die Runde. Unter diesem Begriff verstehen Rechtsextremisten die Vorstellung, Menschen mit ausländischen Wurzeln in ihre ursprünglichen Heimatländer zurückzuschicken. Und ausgerechnet die Restaurantkette „Hans im Glück“ und der Lieferdienst „Pottsalat“ haben sich im Januar von ihrem Miteigentümer Hans Christian Limmer getrennt. Auslöser war ein Bericht des Recherchezentrums Correctiv.

Unternehmer sehen in AfD eine Gefahr

Das Handelsblatt schrieb: „Beide Unternehmen zeigten sich zutiefst schockiert über die Enthüllung, dass der Gastro-Investor mit zu einem Treffen eingeladen hatte, bei dem über das Thema Remigration geredet wurde. An dem Treffen im November in Potsdam hatte Correctiv zufolge neben AfD-Politikern auch der Taktgeber der rechtsextremen Identitären Bewegung, Martin Sellner, teilgenommen und sein Konzept zur Umsiedlung von Millionen Menschen aus Deutschland vorgetragen.“

Die Burgerkette Hans im Glück distanzierte sich umgehend und deutlich von rechtsextremen Ansichten. Die Angst vor Boykottaufrufen, Shitstorms und einer nicht wiedergutzumachenden Beschädigung der Marke ist beim Thema Rechtsextremismus verständlicherweise groß.

Eine große Mehrheit der deutschen Top-Manager sieht die AfD als eine ernsthafte Gefahr für den Wohlstand in Deutschland, für die wirtschaftliche Stärke Deutschlands und damit auch für die Arbeitsplätze. Nach einem Bericht von von Business Insider sehen „knapp 80 Prozent der Befragten Top-Entscheider aus Wirtschaft und Politik das Erstarken der AfD als eine ernsthafte Gefahr für Deutschland. Die Sorge vor einem wachsenden Einfluss der AfD hat damit deutlich zugenommen. Als die Allensbacher Meinungsforscher 2016 zum ersten Mal nach dem Erstarken der AfD fragten, hielt eine Mehrheit der ranghöchsten Entscheider in Deutschland die Sorge hinsichtlich der neuen rechtspopulistischen Partei noch für überzogen. Schon 2019 hatte sich das Bild gewandelt. Weitere vier Jahre später sind nur noch 20 Prozent der Auffassung, die Sorge vor der AfD sei überzogen.“

Müllermilch und das „Interesse am AfD-Programm“

Diese Gefahr sehen keinesfalls alle Unternehmer. Molkerei-Inhaber Theo Müller (u.a. Müllermilch, Weihenstephan, Landliebe) steht wegen seiner Nähe zu AfD-Chefin Alice Weidel in der Kritik. ZDF heute schreibt: „Anstoß der Aufregung ist seine Nähe zu AfD-Chefin Alice Weidel. Sie sei ‚eine Freundin‘, so Müller. Sie wohne in der Nähe seiner Wahlheimat in der Schweiz und komme öfters zu Besuch. Anfang Dezember hatten Medien über ein Treffen zwischen Müller und Weidel in einem Nobelrestaurant in Cannes berichtet.“

„Bei den Gesprächen mit Frau Dr. Weidel galt mein Interesse dem Programm der AfD sowie ihrer persönlichen Ansicht zur aktuellen Politik“, sagte Müller dem Handelsblatt bereits im Dezember. Bei dem Austausch habe er „nicht den geringsten Anhaltspunkt“ gefunden, der auf eine NS-Ideologie schließen lasse. Das wäre für ihn „ein absolutes No-Go“. Müller übersieht dabei, dass die AfD in mehreren Bundesländern vom Verfassungsschutz beobachtet und in Sachsen-Anhalt und Thüringen als gesichert rechtsextremistisch eingestuft wird.

Konsequenzen hat der Vorgang dennoch. Müller verlor deswegen einen seiner Top-Manager: „Mit Thomas Ingelfinger verlässt ein prominentes Mitglied den Verwaltungsrat. Die Entscheidung von Ingelfinger soll unter anderem auf die Treffen zwischen Müller und Weidel zurückgehen.“
Boykottaufrufe gegen die Marken des Theo Müller-Imperiums ließen nicht lange auf sich warten. Die sozialen Medien füllten sich dermaßen mit Aussagen wie „Die Marken kommen mir nicht mehr ins Haus“, dass man davon ausgehen muss, dass es tatsächlich zu messbaren Umsatzrückgängen kommt. Doch das dürfte dem Unternehmer gleichgültig sein. In der Liste der reichsten Deutschen des Manager-Magazins wurde Theo Müller bereits 2016 mit einem Vermögen von 5 Milliarden Euro unter den 25 größten Vermögen in Deutschland geführt.

Kuschelkurs und Social Media-Dominanz Einhalt gebieten

Wie die AfD ihre Popularität bei jeder Wahl steigert, ist kein Geheimnis. Journalisten zahlreicher Medien bereiten der Partei und ihren geschickt gestreuten, demokratiefeindlichen Ungeheuerlichkeiten bereitwillig eine Plattform zur Verbreitung, oftmals jedoch ohne die Aussagen der Rechtsextremisten für unerfahrene Nutzer der Medien einzuordnen oder ihnen einfach deutlich zu widersprechen.

Die Verharmlosung der AfD, wie z.B. die FAZ sie erstaunlicherweise betreibt, beschreibt jedoch ein neues Kapitel der meinungsbildenden Presse im Umgang mit der rechtsextremen Partei. Thomas Hanke, früher Frankreich-Korrespondent bei Handelsblatt, schreibt bei LinkedIn: „Seit ein paar Monaten fährt die FAZ eine Kampagne zur Verharmlosung der AfD. Die rechtsextreme Partei wurde als Ausdruck der Empörung breitester Schichten über eine angeblich gescheiterte Migrationspolitik und Überforderung durch Klimaschutz dargestellt. Jetzt hat Innenpolitik-Chef Jasper von Altenbockum die Katze aus dem Sack gelassen. Er empfiehlt eine Koalition mit der AfD in ostdeutschen Ländern wie Sachsen und Thüringen.“

Auf sozialen Medien wie TikTok werden Videos der AfD nach einer Analyse von ZDF heute dreimal so häufig aufgerufen wie die Videos aller anderen Parteien zusammen. Diese Dominanz gilt für alle digitalen Plattformen: „Die AfD hat doppelt so viele Facebook-Fans wie die restlichen Parteien. Auf YouTube dümpeln die anderen Parteien bei unter 30.000 Abonnenten, die AfD hat teils mehr als das zehnfache.“

Für die Riege der demokratischen Parteien ist dies ein indiskutables Armutszeugnis. Sie müssen der Dominanz der Rechtsextremen in den sozialen Medien Einhalt gebieten, auch wenn es negativen News, Storys und Empörungen leichter fällt, sich in rasender Geschwindigkeit zu verbreiten. Dieser Aufgabe dürfen sie nicht weiter aus dem Weg gehen. Fight fire with fire.

Sie lesen keine Zeitung, schauen keine Tagesschau

Die Gefahr für unsere Demokratie ist deshalb unübersehbar, weil Plattformen wie TikTok überwiegend von jungen Menschen genutzt werden, mithin von Jungwählern, die als 16-Jährige erstmals bei der Europawahl 2024 zur Wahlurne schreiten.

Sie beziehen ihre Nachrichten ausschließlich aus in vielerlei Hinsicht fragwürdigen sozialen Medien. Sie lesen keine Zeitung und schauen keine Tagesschau. Unsere Demokratie muss lernen, mit Jugendlichen besser zu kommunizieren und ihnen die Vorzüge der Demokratie zu erläutern, bevor wir sie endgültig an TikTok, Instagram und YouTube verlieren. Statt sie jedoch zu informieren nutzen Parteien wie CSU TikTok für Videoclips, die so peinlich sind, dass sie gelöscht werden müssen.

Nicht nur die Kommunikation mit Jungwählern ist ungelöst. Das nächste Problem ist der Umgang mit Fakes im Wahlkampf. T-Online deckt auf: „Eine Frau, ein Name und eine Motivation zum AfD-Beitritt: Mit so einem Bild wirbt der AfD-Kreisverband Göppingen für sich. Doch das Bild ist eine Fälschung.“ Zu verdanken haben wir dies der Plattform Instagram, die politischen Fälschungen nichts entgegensetzt.

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Die Gefahr durch Rechtsextremismus ist größer, als wir uns eingestehen wollen. Und sie wächst. Politik, Medien und Wirtschaft müssen handeln, statt nur zu reden. Nicht erst zu den Landtagswahlen im Herbst, sondern jetzt zur Europawahl.

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