Wirtschaft von oben #253 – Überseequartier Hamburg Eröffnungsfeier abgesagt: Europas größtes Bauprojekt bleibt eine Baustelle

Auf 157 Hektar wächst an der Elbe ein neuer Stadtteil samt Einkaufszentrum, Wohnungen, Hotels, Büros und einem neuen Kreuzfahrtterminal. Quelle: LiveEO/Pleiades

Satellitenbilder zeigen das neu gestaltete Überseequartier – eine Mischung aus Stadtviertel, Shoppingmall und Kreuzfahrtterminal. In wenigen Tagen sollte das Bauprojekt seine Eröffnung feiern. Doch ein Wasserschaden durchkreuzt die Pläne. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.

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157 Hektar, 14 Gebäude, 579 Wohnungen, 80.500 Quadratmeter Ladenfläche, Büros für 4000 Arbeitsplätze, drei Hotels mit 819 Zimmern und ein vierstöckiges Kreuzfahrtterminal: Es sind Eckdaten der Superlative, die für Hamburgs neu gestaltetes Überseequartier stehen. Am 25. April sollte das neue Viertel seine Eröffnung feiern. Erwartet wurden prominente Gäste und ein Konzert der britischen Sängerin Rita Ora.

Dieser Plan ist nun geplatzt. Der Grund: Ein Wasserschaden. „In einem Teil des Untergeschosses dringt vereinzelt Grundwasser durch die Bodenplatte. In diesem Bereich befindet sich eine zentrale technische Anlage, die dadurch kurzfristig nicht in Betrieb genommen werden kann“, heißt es in einer Pressemitteilung des Immobilienunternehmens. Die Eröffnung wurde deshalb abgesagt. Ein neuer Termin ist Ende August anvisiert.

Der Tag sollte das das Ende von sechs Jahren Bauzeit markieren. Satellitenbilder zeigen die Entwicklungen auf einer der größten Baustellen Europas. Zwischenzeitlich arbeiteten hier 19 Krane parallel.

Davon sind inzwischen nur noch wenige übrig. Kurz vor der Eröffnung fanden die restlichen Bauarbeiten hautsächlich im Gebäudeinneren statt: Letzte Fliesen werden verfugt, Waren in die Verkaufsregale geräumt, Lampen aufgehängt.

Anderthalb Milliarden Euro hat das Bauprojekt gekostet, fast doppelt so viel wie die Elbphilharmonie. Glaubt man dem französischen Investor Unibail-Rodamco-Westfield (URW), soll sich das bald rechnen: Das Unternehmen hofft auf 44.000 Besucher pro Tag. Sie sollen hier nicht nur ihre Erledigungen machen, sondern Zeit verbringen. Möglich machen das Erlebnisangebote wie ein Multiplex-Kino, eine Digitalkunstschau, eine Lego-Erlebniswelt für Kinder und zahlreiche Restaurants. Ein filigranes Glasdach verbindet die einzelnen Gebäude und sorgt dafür, dass die Kunden auch bei Regen, Wind und Kälte ungestört verweilen können.

Es sind vor allem Touristen, auf die man im Überseequartier hofft. Unmittelbar vor den Türen des Einkaufszentrums entsteht derzeit ein neues Kreuzfahrtterminal. Läuft alles nach Plan, gehen hier im Frühjahr 2025 die ersten Passagiere von Bord. Das Cruise Center verfügt über zwei Liegeplätze mit 345 und 230 Metern Länge und kann bis zu 1.800 Passagiere ein- oder auschecken. Neben der Ankunftshalle befindet sich im Terminal ein unterirdischer Busbahnhof, Parkplätze, eine Taxizufahrt und ein Hotel.

In unmittelbarer Nachbarschaft: die Elbphilharmonie, die Binnenalster und die Speicherstadt. URW hofft, dass zu dieser Liste künftig auch das Einkaufszentrum im Überseequartier gehört.

Bilder: LiveEO/Google Earth, LiveEO/Pleiades

Die Planungen für das Gelände des Überseequartiers und des neuen Kreuzfahrtterminals reichen zurück in die Neunzigerjahre. Als URW das Areal Ende 2014 übernahm, war Hamburg erleichtert. Auch wenn die Stadt jahrelang betonte, dass für das Areal ein Shoppingcenter nicht infrage komme. Der Immobilienkonzern hält weltweit 90 Shoppingcenter. 24 davon stehen in Deutschland, darunter das Centro in Oberhausen.

Hamburg wollte und konnte das Grundstück nicht länger leer stehen lassen. Den vorherigen Investoren war nach der Finanzkrise das Geld ausgegangen. Das Kreuzfahrtterminal in der Hafencity bestand inzwischen seit vielen Jahren aus einer provisorischen Übergangslösung: Elegante Luxusliner legten an zwei aus gestapelten Containern errichteten Abfertigungshallen an. In einem kleinen Bistro konnten Passagiere Getränke und Snacks kaufen, hinter den Hallen erstreckte sich ein riesiger Parkplatz für Autos und Reisebusse.

Der Ort war ausschließlich auf Funktionalität ausgerichtet. Passagieren diente er lediglich zum Ein- und Aussteigen, nicht um sich hier aufzuhalten. Terminals samt Gastronomie und Shopping, wie sie in Dubai und der Karibik bereits üblich sind, gehörten an der Elbe bislang nicht zum Programm. Das soll sich jetzt ändern.


Die Kreuzfahrtbranche boomt und Hamburg hat sich in den letzten Jahren als Kreuzfahrthotspot in Nordeuropa etabliert. Derzeit sind vor allem Touren nach Nordeuropa gefragt, da bietet sich Hamburg als Starthafen an. Von der Pandemie hat sich die Branche längst erholt: Im vergangenen Jahr hat die Hansestadt erstmals über eine Million Kreuzfahrtpassagiere begrüßt. Zahlen des Deutschen Reiseverbands (DRV) lassen auf ein noch erfolgreicheres Jahr 2024 hoffen: Laut DRV hat der Kreuzfahrtmarkt für diesen Sommer bereits eine Umsatzsteigerung von 41 Prozent verzeichnet.

Das Cruise Center in der Hafencity ist eines von drei Terminals in Hamburg. Neben dem in der Hafencity können Kreuzfahrtschiffe in Hamburg auch in Altona und in Steinwerder ankern.

Cruise Center Steinwerder, Steinwerder, Hamburg, Deutschland

13.06.2023: Weil die Anlegestelle weit vom Stadtzentrum entfernt liegt, reisen die Passagiere hier mit dem Auto an und parken auf einem der 1500 Parkplätze direkt vor der Abfertigungshalle.

Bild: LiveEO/Google Earth

Am Cruise Center in Steinwerder sollen auch in Zukunft die großen Kreuzfahrtschiffe anlegen. Das Terminal ist 15 Autominuten von der Innenstadt gelegen und auf einer Fläche von zwei Fußballfeldern angelegt. Die beiden Anlegestellen bieten Platz für Schiffe bis zu 350 Meter Länge. Pro Tag können 8000 Gäste abgefertigt werden.

In Altona kann dagegen nur ein Kreuzfahrtschiff ankern. Das Cruise Terminal soll künftig vor allem von kleinen und mittelgroßen Schiffen angelaufen werden. Die Elbe wird zur Stadtmitte hin immer enger, das erschwert großen Booten die Durchfahrt.

Cruise Center Altona, Hamburg, Deutschland

13.06.2023: Das sechsstöckige Bürogebäude Dockland links neben dem Terminal eignet sich durch seine öffentlich zugängliche Dachterrasse ideal, um den Passagieren während der Abfahrt zu winken.

Bild: LiveEO/Google Earth

Im internationalen Vergleich ist Hamburgs Entscheidung, Kreuzfahrtschiffe weiter in den Stadtkern zu lassen, eine ungewöhnliche. Europaweit haben beliebte Touristenziele in den vergangenen Jahren versucht, Kreuzfahrtschiffe aus ihren Innenstädten zu verbannen. Sowohl die Abgasbelastung als auch die Touristenmassen haben immer wieder für Konflikte gesorgt.

Wie in Venedig: Satellitenbilder zeigen einen leeren Hafen nahe der Altstadt. Dort dürfen große Kreuzfahrtschiffe seit dem 1. August 2023 nicht mehr anlegen. Stattdessen wurde im gegenüber liegenden Industriehafen in Venedigs Vorort Marghera auf dem Festland ein neues Terminal gebaut. Er wird aufgrund seiner industriellen Prägung auch als „hässliche Schwester“ von Venedig bezeichnet.

Stazione Marittima Venezia, Venedig, Italien

23.09.2023: Im Hafen ankern nur vereinzelt kleinere Boote. Große Kreuzfahrtschiffe dürfen hier seit August nicht mehr anlegen.

Bild: LiveEO/Google Earth

Im kroatischen Kreuzfahrthafen Dubrovnik dürfen seit 2019 nur noch zwei Kreuzfahrtschiffe pro Tag festmachen. Und in Amsterdam sollen Kreuzfahrtschiffe in Zukunft nicht mehr in der Innenstadt anlanden. Noch ist allerdings nicht klar, ab wann das Verbot gilt. Denn bislang gibt es kein alternatives Kreuzfahrtterminal außerhalb der Innenstadt.

Cruise Port Amsterdam, Niederlande

06.04.2023: In Amsterdam gehen die Passagiere derzeit in der Innenstadt unmittelbar neben dem Hauptbahnhof von Bord.

Bild: LiveEO/xxx

Laut einer neuen Studie des Berliner Thinktanks „Transport & Environment“ sind die Zahl der Kreuzfahrtschiffe, ihre Liegezeiten in den europäischen Häfen und der Treibstoff, den sie in dieser Zeit ausstoßen, seit 2019 um fast ein Viertel gewachsen. Hamburg liegt demnach auf Platz vier der europaweit am meisten durch Kreuzfahrtschiffe verschmutzten Städte. Davor rangieren nur Barcelona, Rom und Mallorca. 2019 lag die Hansestadt noch auf Platz 17.

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Besonders gesundheitsschädlich sind die Schwefeloxide: Davon wurden in Hamburg im vergangenen Jahr etwa so viele von Kreuzern ausgestoßen wie alle in der Hansestadt zugelassenen Autos zusammen. Sie können die Schleimhäute reizen, zum Beispiel in den Augen, aber auch Atemwegsprobleme hervorrufen.

Die Studie zeigt: Verbote, wie das in Venedig wirken. Dort hat die Luftverschmutzung mit Schwefeloxid im Vergleich zu 2019 um 80 Prozent abgenommen.

Dass Hamburg einen anderen Weg geht, kritisiert der Naturschutzbund Nabu. Schifffahrtsexperte Sönke Diesener sagt: „Durch das neue Terminal kommen in der Hafencity bald größere Schiffe mit größeren Motoren und größeren Abgasmengen an. Damit holt Hamburg das Problem viel näher an die Anwohner heran.“ Insbesondere Stickoxide würden in Hamburg erneut zum Problem.

Die Stadt hat in der Vergangenheit den zugelassenen Grenzwert überschritten und musste Dieseldurchfahrverbote einführen. Inzwischen wurden sie wieder aufgehoben. Aber: „Mit dem neuen Kreuzfahrtterminal in der Hafencity dürfte es für Hamburg wieder schwieriger werden, die Grenzwerte einzuhalten.“

Im Rahmen der Hamburger Nachhaltigkeitsstrategie wird das Cruise Center Hafencity – wie auch die in Altona und Steinwerder – mit einer Landstromanlage ausgestattet, sodass Schiffe die Möglichkeit haben, während der Liegezeit nachhaltig Strom aus erneuerbaren Energien von Land zu beziehen. So lässt sich vermeiden, dass die Schiffe ihre Dieselmotoren im Hafen laufen lassen, um Klimaanlagen, Kühlanlagen und Licht mit Strom zu versorgen. Ein Kreuzfahrtschiff kommt schnell auf den Strombedarf einer Kleinstadt.

Das Problem: Bislang sind es nur eine Handvoll Schiffe, die Landstrom nutzen. Laut Nabu-Experte Diesener eine reine Preisfrage. Für die Reedereien sei es noch immer deutlich günstiger, ihren Strombedarf mit Diesel zu decken. Der Experte fordert eine Regelung, die Kreuzfahrtschiffe dazu zwingt, Landstrom zu nutzen. Auf EU-Ebene gibt es eine solche Pflicht erst ab 2030. Hamburg erwartet, dass im kommenden Jahr die Mehrheit der Kreuzfahrtschiffe das Landstrom-Angebot nutzt und die Luftqualität verbessert wird.

Stadtzentrum, Hamburg, Deutschland

07.07.2023: Mit dem neuen Einkaufszentrum wächst die Hamburger Einzelhandelsfläche um über 20 Prozent.

Bild: LiveEO/Google Earth

Zu den Kritikern des Bauprojekts gehören jedoch nicht nur Umweltschützer, sondern auch Einzelhändler in der Hamburger Innenstadt. Mit dem neuen Einkaufszentrum wächst die Hamburger Einzelhandelsfläche um mehr als 20 Prozent – und damit auch die Konkurrenz. Eine zusätzliche Herausforderung neben Konsumzurückhaltung, Rabattschlachten und Onlinehandel.

Handelsexperten stellen sich die Frage, ob die Hamburger Innenstadt an ihre Grenze kommt. „Wir müssen davon ausgehen, dass insbesondere die innerstädtischen Quartiere erheblich unter Druck geraten und teilweise ihre wirtschaftlich tragfähigen Umsätze nicht mehr erreichen“, sagt Andreas Bartmann, Präsident des Handelsverbands Nord und Geschäftsführer des Outdoor-Händlers Globetrotter.

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