Energiepolitik Kohleausstieg bis 2030 ist mehr Wunsch als Wirklichkeit

Quelle: imago images

Nach mehr als einem Jahr Verzögerung hat die Bundesregierung ihre Kraftwerksstrategie vorlegt. Beim Blick in das Kleingedruckte verlieren die Unternehmen die Lust auf Investitionen in neue Gaskraftwerke. Doch ohne die ist der Kohleausstieg bis 2030 Makulatur. Eine Analyse.

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Manchmal platzen Projekte mit einem lauten Knall. Aber bei den meisten langfristigen Vorhaben verhält es sich eher wie bei einem Soufflé: Sticht man mit der Gabel hinein, entweicht die Luft langsam, ehe schließlich alles in sich zusammenfällt. Bei der Energiepolitik ist es ähnlich. Es werden schön klingende Pläne gemacht, ehrgeizige Ziele formuliert und dann sollen die Unternehmen und die Kunden die politischen Wünsche umsetzen – je schneller, desto besser natürlich.

Dabei gerät schon einmal die Reihenfolge durcheinander. Wenn es wirklich immer nur um mehr Klimaschutz und weniger CO2-Emissionen gegangen wäre, hätte man besser erst den Kohleausstieg und dann – wenn der Umstieg auf die erneuerbaren Energien vollständig gelungen ist – auch die Atomkraftwerke abschalten können. Es kam bekanntlich anders.

Geschäftsmodell „Lückenbüßer“

Erst wurde der Atomausstieg beschlossen und dann sollte so schnell wie möglich auch der Kohleausstieg folgen. Nach langem Ringen einigte sich 2019 die Große Koalition von CDU, CSU und SPD mit den betroffenen Ländern darauf, den letzten Kohlemeiler 2038 stillzulegen. Doch kaum kam 2021 die Ampelkoalition ins Amt, konnte es nicht schnell genug gehen. Der Kohleausstieg wurde auf 2030 vorgezogen. Bis dahin würden zwar nicht genug Ökoenergien produziert werden, aber die Brücke sollte in Form von modernen Gaskraftwerken gebaut werden. Dann kam der russische Überfall auf die Ukraine und der Lieferstopp des billigen russischen Gases. Spätestens ab da musste jedem klar sein, dass die ehrgeizigen Pläne von Robert Habeck und seinen grünen Mitstreitern, wenn nicht Makulatur, so doch arg gefährdet waren.

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von Harald Schumacher

Als Ausweg arbeitete das Bundeswirtschaftsministerium eine sogenannte Kraftwerksstrategie aus, die festlegen sollte, wie ohne Kohleverstromung ab 2030 eine sichere Energieversorgung Deutschlands funktionieren sollte. Die Idee: Wenn es an windstillen und sonnenarmen, bewölkten Tagen nicht genug Ökoenergie gibt, sollen Gaskraftwerke die Lücke schließen. Das bedeutet allerdings, dass die Gaskraftwerke nur dann laufen dürfen, wenn es an grüner Energie mangelt.

Diese Lückenbüßerfunktion an bestimmten Tagen mit Dunkelflaute widerspricht natürlich dem Geschäftsmodell eines Kraftwerks, das eigentlich darauf ausgelegt ist, rund um die Uhr zu laufen, um Geld zu verdienen. Die Kraftwerksstrategie sollte den Unternehmen deshalb ein Angebot machen, wie geringe Betriebszeiten mit Gewinnzielen der Investitionen in Einklang gebracht werden können. Soll heißen: Der Staat muss enorme Subventionen zahlen, sonst baut niemand die gewünschten Lückenbüßer-Kraftwerke. Teuer wird die Sache nicht zuletzt deshalb, weil die Gaskraftwerke so konstruiert sein müssen, dass sie rasch auf Wasserstoff umgestellt werden können, wenn genug grüner Wasserstoff als Brennmaterial vorhanden ist.

Konkrete Bedingungen bleiben offen

Neben diesen ganzen Hürden müssen schließlich noch die Anforderungen der EU-Kommission erfüllt werden, die Subventionen an einzelne Unternehmen immer kritisch unter die Lupe nimmt. Diese Prüfung dauert an – einer der vielen Gründe, warum die Kraftwerksstrategie so lange auf sich warten lässt.

Die genauen Konditionen für die Investoren sind auch nach einem Jahr Verzögerung noch nicht klar, weshalb die in Frage kommenden Unternehmen jetzt offen ihre wachsende Skepsis zeigen. Um die nach einem Kohleausstieg 2030 entstehende Stromlücke zu schließen, müssten mindestens 20 moderne Gaskraftwerke gebaut werden – andere reden von bis zu 50 solcher Anlagen. Aber wie soll das im bürokratisch schwerfälligen Deutschland innerhalb der verbleibenden fünf Jahre und zehn Monaten geschehen?

Zweifel bei Investoren

Kein Wunder, dass Michael Lewis, der Chef des größten deutschen Gashändlers Uniper, die Bundesregierung vor weiteren Verzögerungen warnt. Schließlich will das Unternehmen bis 2030 rund acht Milliarden Euro in die grüne Transformation investieren – und das bedeutet auch in neue Kraftwerkskapazitäten. Aber wichtige Details fehlen immer noch, die Unternehmen warten weiterhin auf die Ausschreibungen mit den konkreten Rahmenbedingungen. Dazu zählt beispielsweise, wie viele Stunden pro Jahr so ein Lückenbüßer-Kraftwerk laufen darf. Auch die Höhe der Vergütung für den unter diesen Bedingungen hergestellten Strom ist noch offen. Wie soll man unter diesen Gegebenheiten als Unternehmer oder Manager über dreistellige Millioneninvestitionen entscheiden können?

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Wird die Bundesregierung sich also in den nächsten Wochen hinstellen und einräumen, dass ein auf 2030 vorgezogenes Ende der Kohleförderung nicht machbar ist? Es spricht viel dafür, dass trotz der immer rascher verrinnenden Zeit so lange wie möglich am politisch gewollten Ausstiegsdatum 2030 für die Kohle festgehalten wird. Notfalls muss halt mehr Kohlestrom aus dem Ausland kommen, ebenso wie wir uns auch nach unserem Atomausstieg auch an die Lieferung von ausländischem Atomstrom gewöhnt haben.

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