Greenpeace-Expertin kritisiert Trend unter Modehändlern „Ultra-Fast-Fashion ist oft als Einweg-Wegwerfware konzipiert“

Kann Secondhand-Mode der schnellen Billigmode von Primark und Co. das Wasser abgraben? Quelle: REUTERS

Modehändler wie Zalando und About You setzen mehr und mehr auf Secondhand. Warum sie das für Greenwashing hält, erklärt Viola Wohlgemuth, Expertin für Kreislaufwirtschaft von Greenpeace, im Interview.

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WirtschaftsWoche: Frau Wohlgemuth, der Mode-Onlinehändler About You kooperiert mit der Secondhand-Plattform Momox um die „Kreislauf-Ökonomie voranzutreiben“, und die Pariser Secondhand-Plattform Vestiaire Collective tritt an, „das Konsumverhalten zu disruptieren, indem es die Art und Weise verändert, wie Menschen kaufen.“ Sind diese Ziele auf diese Weise zu schaffen?
Viola Wohlgemuth: Prinzipiell ist das möglich – aber nicht mit Secondhand, und schon gar nicht mit Secondhand-Luxusware. Secondhand ist ein Teil der Lösung, aber noch komplett im linearen Geschäftsmodell von Kauf und Verkauf integriert. Deswegen bauen das ja so viele Händler bereitwillig aus – weil sie dafür fast nichts an ihrem Geschäftsmodell ändern müssen, aber mit relativ wenig Aufwand ein gutes Gewissen vermitteln können. Secondhand ist nicht disruptiv, sondern der am stärksten wachsende Markt im Modehandel, weil es als die einfachste Art ist, sich medienwirksam nachhaltig zu nennen. Es ist ein bisschen so wie Bio-Plastik.

Aber es liegt im Trend: Innerhalb der nächsten Monate will Abou You die Auswahl an gebrauchten Kleidungsstücken vervierfachen.
About You ist unter den fünf umsatzstärksten Textilhändlern in Deutschland, gerade für junge Mode – und eine der größten Dreckschleudern. Man macht dann ein bisschen Secondhand, aber der Bereich Fast Fashion steigt halt viel schneller. Von solch einem großen, einflussreichen Modehändler würde ich einen klaren Zeitplan erwarten, wenn man es mit der Nachhaltigkeit wirklich ernst meint, nach dem Motto: Wir machen jedes Jahr sukzessive weniger Neuproduktion, und bringen gleichzeitig Secondhand-Mode nach vorne. Das wäre der Weg, aber so etwas passiert nicht. Deswegen ist das für mich ein Deckmantel, Greenwashing. Denn so muss niemand sein lineares und so lukratives Geschäftsmodell umstellen. C&A, Zalando, H&M und Co. machen das ja auch: Sie kaufen sich frei, indem sie sagen, sie machen ja auch Secondhand.

Was schlagen Sie stattdessen vor?
Um das Konsumverhalten wirklich zu disruptieren, brauchen wir alternative Geschäftsmodelle: Leihen und Tauschen, die bekannten Prinzipien der Sharing Economy. Wie das funktionieren kann, sieht man ja zum Teil im Mobilitätssektor: Wenn ich etwas Großes von A nach B transportieren muss, leihe ich mir für diese Fahrt einen Transporter. Bezogen auf die Modebranche bedeutet das also: Wenn ich zu einer Gala gehe, brauche ich ein Kleid von Dior und leihe mir das für den Abend. Für die Party am Abend das Kleine Schwarze oder für die Familien-Bergtour die kompletten Klamotten von Wanderschuhen bis Hut.

Viola Wohlgemuth Quelle: dpa Picture-Alliance

Zur Person

Laut aktuellem „Impact Report“ von Vestiaire Collective haben 82 Prozent der über die Plattform verkauften Artikel einen Neukauf ersetzt. Klingt doch gut, oder?
Das klingt super! Aber meine Hauptkritik daran ist: Die Prozentzahl basiert allein auf freiwilligen Angaben von deren Kundinnen und Kunden. Ich kann nichts davon überprüfen. Man muss das so glauben. Schwierig. Das ist für mich ein bisschen dünn. Das sagt mir nicht, dass die nicht am Ende doch etwas anderes machen. Vom Prinzip her ist Secondhand natürlich besser als Neukauf. Aber: In diesem Fall geht es nur um Luxusmarken. Der Großteil des Textilmülls auf der Welt kommt nicht von Luxusmode, sondern von Fast Fashion. Von einer Plattform, die es seit mehr als zehn Jahren gibt mit so einem Anspruch, würde ich mir wünschen, dass sie sich breiter aufstellt, und ihr Geschäft auch auf Alltagskleidung ausweitet. Dann könnten sie schon eher einen Unterschied ausmachen. Und die Preise würden natürlich auch sinken: Ob ich nun ein neues Teil bei Shein kaufe, oder ein gebrauchtes Teil bei so einer Plattform, macht preislich wohl kaum einen Unterschied.

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Vestiaire hat das Gegenteil getan: Ende 2022 hat das Unternehmen Fast Fashion explizit von seiner Plattform verbannt. Der Anteil lag ohnehin im einstelligen Prozentbereich.
Ökonomisch kann ich das nachvollziehen. Aber wenn man sich auf die Fahne schreibt, eine Industrie zu disruptieren, wäre das noch eher innovativ.

Vestiaire argumentiert, bei Billigmode lohne sich kein Secondhand-Handel, weil die Qualität zu schlecht sei. Die Firma sagt, man wolle mehr Wert auf Qualität statt auf Quantität legen: weniger kaufen, dafür besser. Eigentlich stehen Sie doch auf derselben Seite, oder?
Ja das stimmt, die aktuelle Ultra-Fast-Fashion ist oft als Einweg-Wegwerfware konzipiert. Nichts anderes als die Plastiktüte. Einmal getragen und dann weggeworfen. Aber genau deshalb ist „nur“ secondhand auch nicht wirklich disruptiv, das wären Leih-, Teil- und Tauschmodelle.

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Der entscheidende Vorteil: Secondhand-Mode habe einen um 90 Prozent geringeren „Impact“, schreibt Vestiaire, und schlüsselt auf: Luft- und Wasserverschmutzung, Wasserverbrauch, Landnutzung, Treibhausgase und Abfall. Halten Sie das für realistisch?
Ich habe das auch gelesen in ihrem „Impact Report“. Dort habe ich aber leider keine ausreichenden Quelle zu diesen Fakten gefunden um die Zahlen klar einzuordnen, aber das ist auch im globalen Zusammenhang für die verschiedensten Produktkategorien schwer. Laut einer Studie der Boston Consulting Group fallen 75 Prozent der Treibhausgase und anderer schädlichen Umweltauswirkungen bei der Textilproduktion an. Es hängt davon ab, ob Plastik oder zum Beispiel gegerbtes Leder verwendet wird. Dann kommen Aspekte rein wie die Tragedauer und die Transportwege. Was in diesem Zusammenhang bei Secondhand-Mode in Europa einen wirklichen Unterschied machen würde, sind Mehrwegverpackungen - das wäre grandios! Gerade für Leihmodelle, bei denen mehrfach verschickt wird. Es gibt längst Start-ups in Deutschland dazu, die österreichische Post oder selbst in China wird mit Mehrwegverpackungen für den Onlineversand gearbeitet.

In der folgerichtigen Logik von Vestiaire Collective und anderen Secondhand-Plattformen vereinen sich vermeintlich Kapitalismus und Klimaschutz: Je stärker diese Unternehmen wachsen, desto größer die Klima-Wohltat. Gehen Sie da mit?
Nein, das dauernde Wachstum ist ja systembedingt. Und wenn das neue Produkt im Schrank secondhand ist, ist es auch nur einmal besser als Neukauf; denn in der Regel werden Modeprodukte kaum mehr als einmal weiterverkauft. Der Weg wäre leihen und tauschen. Gerade bei Luxus wäre das relativ einfach umsetzbar. Ich bin überzeugt, dass es dafür auch einen Markt gibt.

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Aber Leihen und Tauschen funktioniert nicht per se: Tchibo etwa hat sein Experiment „Tchibo Share“, wonach man Kinder- oder Sportbekleidung mieten konnte, 2021 nach knapp drei Jahren wieder eingestellt.
Ja, leider. „Tchibo Share“ ist auch auf Druck der Greenpeace-Kampagne Detox my Fashion hin entstanden. Wir haben Tchibo damals davon überzeugt, dass sie etwas tun müssen und auf andere Modelle als Neukauf umsteigen müssen. „Tchibo Share“ war einer der effektivsten Neukauf-Verhinderer, sie sollen über acht Umläufe pro Kleidung erreicht haben. Aber ohne politische neue Rahmenbedingungen bleibt es dabei: Was mehr Geld bringt, setzt sich durch. Und das ist Neukaufen.

Trotzdem ist das Experiment beendet worden.
Weil es sich in unserem wirtschaftlichen Modell für den Konzern nicht gelohnt hat. Und man sollte nicht vergessen: Tchibo ist in erster Linie ein Kaffeehändler. Für die gibt es wohl Wichtigeres.

Wie könnte es sich denn lohnen?
Man müsste den politischen Rahmen dafür schaffen, dass das Tauschen von Kleidung günstiger wird, indem beim Neukauf der wahre Preis der Umwelt- und Klimaschäden mit einberechnet wird; denn die Textil- und Modeindustrie benötigt für das ganze Polyester ja jede Menge Erdöl. Hersteller von Textilien sind weltweit der drittgrößte Abnehmer für die Plastikindustrie. Darunter fallen auch solche Produkte wie Autobezüge, aber die Masse sind natürlich Fast-Fashion-Artikel. Würde man dies mit einpreisen, wären die Alternativen deutlich günstiger – und dann würde sich recht schnell etwas ändern.

Zumindest Secondhand-Mode dürfte auch so stark zunehmen: In der Studie „Fashion 2030“ der Unternehmensberatung KPMG und des Kölner Handelsforschungsinstituts EHI heißt es, bis 2032 könne sie einen Marktanteil von 20 Prozent erlangen.
Wenn man nur Fast Fashion betrachtet, halte ich das für realistisch. Aber die Studienverfasser haben wahrscheinlich noch nicht den neuen Boom um die sogenannte Ultra-Fast-Fashion mit einbezogen – und dann dürfte der Anteil wieder sinken. Vor sechs, sieben Jahren war Zara am schnellsten, jetzt haben wir aber ganz andere Player: Shein, Temu oder ganz neu: Cider! All diese Shopping-Plattformen stammen aus China und zielen schon auf die 8- bis 10-jährigen Kunden in Europa und USA. Die haben bis zu 9000 neue Designs pro Tag. Die schaffen es innerhalb von drei Tagen vom Foto zum fertigen Produkt. Wahnsinn, was die noch an Kleider-Massen liefern werden. Und die fangen ja gerade erst an. Und übrigens: Shein und Co. beziehen ihr Öl weiterhin aus Russland.

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Haben Sie angesichts dessen noch Hoffnung?
Sonst würde ich nicht bei Greenpeace arbeiten. Wir haben erst im Sommer 2022 eine repräsentative Umfrage über das Veränderte Konsumverhalten der Deutschen in den letzten sieben Jahren erstellt, und das Tolle ist: Über 50 Prozent haben schon mal secondhand gekauft, und 37 Prozent gerade der jungen Frauen habe schon mal Kleidung geliehen. Vor allem bei letzterem fehlt es aber noch an Möglichkeiten, denn das zeigt die Umfrage auch klar: Alternativen würde öfters genutzt werden – wenn es sie denn überhaupt im Alltag der Menschen gäbe!

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