Blockade der FDP Sinnloser Streit ums Lieferkettengesetz? „Es wird so oder so Standard werden“

Kakao-Ernte in Kolumbien Quelle: Getty Images

Die FDP blockiert das europäische Lieferkettengesetz und argumentiert, sie schütze deutsche Unternehmen. Der Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, Guido Zeitler, widerspricht im Interview: Die FDP schade den Unternehmen.

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Das deutsche Lieferkettengesetz (offiziell: Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz) gilt seit Januar 2023, zunächst nur für Betriebe mit mindestens 3000 Angestellten. Seit 2024 sind alle Unternehmen in Deutschland mit 1000 Beschäftigten in der Pflicht. Insgesamt fallen nun etwa 5200 Firmen unter die Regelung. Die sehen unter anderem vor, Lieferketten zu durchleuchten, Missstände bei Zulieferern aufzudecken und im Zweifel zu melden. Es soll Ausbeutung verhindern, Menschenrechte stärken und die Umwelt und das Klima schützen.

Das geplante EU-Gesetz soll noch weiter gehen: Während das deutsche Lieferkettengesetz von den Unternehmen verlangt, alle direkten Zulieferer in die Pflicht zu nehmen, schließt die EU-Vorschrift nahezu die gesamte Wertschöpfungskette mit ein, bis hinab zur Kobalt-Mine, wo Autobauer Rohstoffe für Batterien abbauen lassen. Zudem ist im EU-Gesetz auch eine zivilrechtliche Haftung vorgesehen. Doch Ende Januar setzten die FDP-Bundesminister Christian Lindner und Marco Buschmann durch, dass Deutschland sich bei der Abstimmung am Freitag in Brüssel enthalten sollte. Inzwischen wurde die Abstimmung abgesagt.

Die Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) vertritt in Deutschland die Interessen von rund 188.000 Mitgliedern, etwa aus den Branchen Backwaren-, Milch-, Fleisch- und Süßwarenindustrie, ebenso Bierbrauer, der Obst- und Gemüseverarbeitende Industrien und der Beschäftigten im Hotel- und Gaststättengewerbe, worunter auch Systemgastronomen wie McDonald’s, Vapiano und Burger King fallen wie auch Lebensmittel-Lieferdienste wie Lieferando.

NGG-Vorsitzender Guido Zeitler Quelle: Stephan Pramme

Zur Person


WirtschaftsWoche: Herr Zeitler, Sie sagen, mit ihrer Blockade gegen das EU-Lieferkettengesetz „schadet“ die FDP deutschen Unternehmen. Die FDP wiederum sagt, sie wende Schaden von Unternehmen ab. Wer hat denn nun Recht?
Guido Zeitler: Man muss sich nur mal anschauen, was für deutsche Unternehmen seit einem Jahr schon gilt: Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz umfasst ja schon viele Regelungen, die auch schon lange auf europäischer Ebene diskutiert worden sind. Durch das EU-Gesetz wollen wir nun einen Gleichklang zwischen deutschen und europäischen Standards erreichen, um sozusagen Waffengleichheit herzustellen. Ich wüsste nicht, wieso das deutschen Unternehmen schaden sollte. Ich finde es bemerkenswert, dass nun zwei Minister nach den vielen Abstimmungsrunden in letzter Minute sagen: Nö, das finden wir nun doch nicht mehr gut.

Wie sicher sind Sie denn, dass alle Ihre 188.000 Mitglieder – oder wenigstens die Mehrheit – für dieses Gesetz sind?
Ich gehe nicht davon aus, dass alle 188.000 NGG-Mitglieder genau wissen, was im Gesetz drinsteht – genauso wenig, wie alle 82 Millionen Deutsche das wissen. Worum geht es im Gesetz? Es soll zum Beispiel Kinderausbeutung und Sklavenarbeit verhindern.

Ich unterstelle den allermeisten Unternehmen mal, dass sie diese Ziele unterstützen.
Richtig, aber das passiert nicht von allein. Wir brauchen mehr Verbindlichkeit in den Prozessen. Wir kommen aus einer Zeit der Globalisierung, wo Erfolg und Wachstum in erster Linie über den Preis definiert wurden. Die Frage lautete stets: Wo finde ich den billigsten Zulieferer? Die Frage, warum der so billig ist, wurde dagegen lange Zeit nicht gestellt. Es ging ausschließlich um den Preis. Da muss man gegenarbeiten.

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Auch in den Branchen, die die NGG vertritt?
Auch in der Ernährungsindustrie verarbeiten wir Rohstoffe, die global gehandelt werden, wie Kakao oder Kaffee. Auch da gibt es seit einiger Zeit vermehrt Diskussionen, welche Standards gelten denn bei Anbau, Ernte und Transport? Wenn ich als Unternehmen nun mitbekomme, dass da in meiner Lieferkette etwas schief läuft, darf ich doch davor nicht die Augen verschließen und einfach weiter machen. Dann bin ich ja ein Teil davon! Und das sehen wohl auch alle 188.000 Mitglieder der NGG so.

Also meckert da wirklich keine Bäckerei, kein Hotel, kein Süßwarenbetrieb in Deutschland über die teuren Eigenkontrollen und den absehbaren Zuwachs an Bürokratie?
Das Lieferkettengesetz in Deutschland gilt ja schon. Und natürlich gibt es unterschiedliche Reaktionen. Aber grundsätzlich werden Zertifizierungen nach sozialen, moralischen und klimafreundlichen Aspekten in Unternehmen immer wichtiger. Viele kümmern sich heute schon selbst darum, aus eigenem Interesse. Das hat auch mit dem Ranking auf dem Finanzmarkt zu tun.

Das trifft wohl eher auf die großen Konzerne zu. Im Dezember hatten mehrere europäische Konzerne die EU aufgefordert, endlich das Lieferkettengesetz umzusetzen, darunter waren etwa Aldi, Ikea, L’Oreal, Hapag-Lloyd und Unilever.
Aber auch Mittelständler fangen damit an, weil Banken bei der Kreditvergabe das einfordern. Da kommen Fragen: Wie wirst Du deiner Verantwortung als Unternehmen gerecht? Da ist schon was ins Rutschen gekommen. Die Frage lautet nun, welchen Weg geht man? Nimmt man die lange Strecke und glaubt, das wird sich schon mit der Zeit von alleine regulieren, weil auch der Finanzmarkt höhere Anforderungen stellt? Oder kürzt man den Prozess etwas ab und reguliert das gesetzgeberisch.

Viele Wirtschaftsverbände sind gegen das EU-Gesetz, wie sie in einem gemeinsamen Schreiben an die Bundesregierung deutlich gemacht haben. Darunter waren der Verband der chemischen Industrie, der Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen, die Gesamtmetall, der Mittelstandsverbund ZGV, der Verband Maschinen- und Anlagenbau, der Verband der Elektro- und Digitalindustrie und Textil+Mode. Steht die NGG angesichts dieser Allianz nicht ziemlich allein da?
Das sind allesamt Arbeitgeberverbände, deren Haltung überrascht mich nicht. Aus der Perspektive der Gewerkschaft haben wir einen anderen Blick auf die Thematik, nämlich auf die Menschen. Und wir gucken nicht nur auf den Facharbeiter in Deutschland, und alles andere ist uns egal. Es ist uns wichtig, dass global faire Arbeitsbedingungen herrschen. Wir können es als Gesellschaft nicht hinnehmen, dass weltweit 160 Millionen Kinder Kinderarbeit leisten, laut dem Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen. Die Zahl kann man wegatmen. Ich atme die nicht weg.

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Die Wirtschaftsverbände argumentieren, die geplante EU-Lieferkettenrichtlinie würde „insbesondere den Mittelstand in der Praxis überfordern und zu einem Rückzug europäischer Firmen aus vielen Ländern führen“.
Man kann sich über die Details sicher streiten. Und natürlich muss man sich mit der Kritik der Wirtschaftsverbände auseinandersetzen. Ich verstehe auch den Punkt des Mehraufwands: Je mehr Kriterien ich in meinen Prozessen checken muss, desto höher ist natürlich der Aufwand. Wie soll ein deutsches Unternehmen kontrollieren, was auf einer Plantage in Südamerika geschieht? Das ist eine Frage der Anwendung. Und da haben transnationale Großkonzerne andere Möglichkeiten als Mittelständler. Aber die Zielsetzung sollte doch klar sein. Und nochmal: Es wird so oder so Standard werden, das wird passieren.

Der Dm-Chef Christoph Werner ist ebenfalls gegen das EU-Gesetz. Er sagte kürzlich, er verstehe nicht, warum man die Fehler des deutschen Lieferkettengesetz jetzt auf alle europäischen Länder ausbreiten will. Er kritisiert: „Wir versetzen uns in eine nachteilige Position, weil wir Dinge fordern, die andere nicht fordern.“ Zum Beispiel China.
Das finde ich nun etwas abenteuerlich. Wir reden hier über Menschenrechte, da kann man doch nicht den totalitären Staat China als Argument bringen. Denen sollten wir uns besser nicht anpassen. Ich habe als Unternehmen vielleicht einen höheren Aufwand durch das Gesetz, aber da stellt sich die Frage für Unternehmen: Will ich in Kauf nehmen, dass beim günstigeren Produkt vielleicht Kinderarbeit dahintersteckt?

Vergangene Woche haben Sie Bundeskanzler Olaf Scholz einen Brief geschrieben und appelliert, Deutschland möge bitte zustimmen zum EU-Lieferkettengesetz. Haben Sie eine Antwort erhalten?
Nein, noch nicht. Aber das war auch recht kurzfristig. Der Brief war ja eine Reaktion auf die Blockade der FDP.

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Ihre Einschätzung zur Abstimmung?
Ich vermute, dass die FDP bei ihrer Haltung bleiben wird. Das ist ja eine bewusste Positionierung innerhalb der Koalition gewesen, hinter die sie wohl nicht mehr zurückkönnen. Und ich befürchte, dass es durch Deutschlands Enthaltung auf europäischer Ebene keine Mehrheit für das Gesetz zustande kommen wird. Ich bin da leider skeptisch, dass das noch trägt. Ausgeschlossen ist es aber noch nicht.

Lesen Sie auch: Warum blockiert die FDP das geplante Lieferkettengesetz der EU?

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