Hannover Messe „Deutschlands Chance liegt in spezialisierter KI für die Industrie“

Europas Chancen könnten in der spezialisierten KI-Technologie liegen. Quelle: DFKI

DFKI-Chef Antonio Krüger über KI in der Industrie, die nächste Generation der Robotik – und warum humanoide Roboter den Fabrikarbeiter nicht so schnell ersetzen werden.

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WirtschaftsWoche: Herr Krüger, von den führenden KI-Modellen wie ChatGPT-4 kamen vergangenes Jahr 61 aus den USA, nur fünf aus Deutschland. Verliert Deutschland den Anschluss bei künstlicher Intelligenz, der aktuell vielleicht wichtigsten Zukunftstechnologie?
Antonio Krüger: Sicher, bei den großen Sprachmodellen führen Unternehmen aus den USA. Deren KI-Systeme beruhen auf den Massen an im Internet frei verfügbaren Daten – und sie werden erstaunlicherweise immer besser, je mehr man sie hochskaliert, also mit je mehr unsortierten Daten man sie füttert…

…und da sind die großen Techkonzerne aus den USA im Vorteil.
Ja, aber worauf beruht der Erfolg der KI-Anbieter? Erstens auf der KI-Architektur selbst. Wie die funktioniert, ist allgemein bekannt. OpenAI und Microsoft haben zwar mehr Erfahrung im Trainieren dieser Modelle. Aber das ist nichts, was wir nicht aufholen können. Und darum ist es wichtig, dass wir in Europa unsere eigenen Modelle trainieren und Fachleute haben, die das können. Es ist gut, dass wir mit AlephAlpha und Mistral zwei größere Spieler haben, die sich um die Entwicklung eigener Modelle kümmern.

Und der zweite Erfolgsfaktor?
Sind die Daten – die haben Techkonzerne in Massen. Aber stellen Sie sich vor, Richter entscheiden, dass die massive Datensammelei zum Training großer KI-Modelle gegen das Urheberrecht verstößt – dann haben die Anbieter ein Problem. In Europa haben wir dagegen tolle hochqualitative Datenschätze, die weniger urheberrechtliche Probleme bereiten, denken Sie etwa an die Archive des öffentlichen Rundfunks oder großer Medienhäuser. Mit diesen Daten können wir eigene hochqualitative Modelle bauen. Einen dritten Erfolgsfaktor für große KI-Modelle haben wir aber in Deutschland zugegebenermaßen verpennt.

DFKI-Chef Antonio Krüger. Quelle: DFKI

Zur Person:

Der wäre?
Die Hardware. Wir hätten in Europa ein System wie ChatGPT gar nicht bauen können, weil wir die nötigen Rechenkapazitäten nicht haben. Wir brauchen in Deutschland also mehr Rechenzentren für KI. Das erfordert mehr Investitionen von privaten Akteuren und auch der öffentlichen Hand.

Also ist Deutschland im KI-Wettbewerb doch chancenlos?
Langsam! Noch ist gar nicht klar, ob Techkonzerne mit ihren generativen KI-Modellen so viel Geld verdienen können, dass sich die immensen Investitionen lohnen. Microsoft hat gerade die Preise für seinen KI-Assistenten namens Copilot gesenkt – das macht man ja auch nicht, wenn das ein riesiger Renner ist. Konzerne wie Google und Meta setzen stark auf OpenSource-KI-Modelle. Sie rechnen wohl nicht damit, dass sie sich damit das Geschäft mit ihren geschlossenen KI-Modellen kaputt machen.

Wo wird mit KI dann künftig das Geld gemacht?
Ich glaube, dass die Monetarisierung von KI in der einzelnen Anwendung passieren wird, nicht in der Basistechnologie. Es ist viel wahrscheinlicher, dass spezialisierte kleine KI-Systeme sich verkaufen lassen als große, allgemeine. Denn warum sollen Sie mit Kanonen auf Spatzen schießen? ChatGPT wird den Fabrikarbeiter nicht so schnell ersetzen. Und das ist eine gute Nachricht für Deutschland und Europa.

Warum das?
In Europa sind einige erfolgreiche KI-Dienste entstanden, die nicht auf riesige Datenmengen basieren, sondern kleineren, aber hochqualitativen Datensätzen. Daraus entwickeln Unternehmen hier KI, die eine ganz bestimmte Sache besonders gut kann – etwa den Übersetzungsdienst von DeepL. Diese Systeme brauchen viel weniger Rechenleistung als die großen Sprachmodelle – erzielen aber teilweise bessere Ergebnisse.

Solche Spezialsysteme können aber auch Google und Co bauen.
Sicher, aber eine weitere Stärke Deutschlands liegt in den Daten, die die Unternehmen in der Industrie exklusiv besitzen. Und wir haben viele mehr innovative Industrieunternehmen als die USA. Wenn wir ihre Daten nutzbar machen, würden dabei sehr gut funktionierende, nützliche KI-Modelle herauskommen. Deutschlands Chance liegt in spezialisierter KI für die Industrie.

Wo klappt das denn schon?
AlephAlpha etwa hat sich darauf konzentriert, auf Basis der Daten von Industriekunden maßgeschneiderte KI-Dienste zu entwickeln. Auch in der Medizin entstehen in Deutschland aus speziellen, kleinen Datensätzen etwa innovative Diagnose-Werkzeuge. Und das DFKI zeigt auf der Hannover Messe unter anderem, wie ein KI-System die Qualität von gebrauchten Teilen visuell bewertet. Die Software entscheidet dann, welche Teile für die Produktion wiederverwendet werden können. Das spart Kosten und fördert die Kreislaufwirtschaft.

Lieferketten, Bürokratie, Energiepreise – viele Mittelständler haben schon jede Menge andere Baustellen. Wie sollen sie da noch teure und komplizierte KI ans Laufen bekommen?
Die Situation ist vergleichbar mit der ersten Welle der Digitalisierung. Viele Unternehmen in Deutschland haben sich etwas schwer getan damit, aber die meisten haben es am Ende geschafft. Als ich im Jahr 2009 am DFKI anfing, habe ich mit dem Marktführer von Waagen zusammengearbeitet. Die Wiegeelemente des Unternehmens waren feinmechanische Meisterwerke und das Teuerste am ganzen Produkt. Dann hat der Hersteller sie durch sehr preiswerte elektronische Komponenten ersetzt und die Waage zu einem Computer umgebaut. Das Unternehmen musste sich komplett umdefinieren, hin zu einer Digitalfirma. Heute sind viele Mittelständler, mit denen wir zu tun haben, diesen Weg gegangen und die meisten haben eine ausgeprägte Digitalabteilung.

Und nun brauchen sie auch eine KI-Abteilung?
Die zweite Welle der Digitalisierung, die jetzt mit künstlicher Intelligenz anrollt, erfordert noch einmal einen Wandel. Unternehmen müssen dafür umdenken, müssen KI-Experten oder entsprechende Partner finden. Wir haben eine große Innovationskraft in Deutschland. Und es gibt viele Unternehmen aus verschiedenen Branchen, die sich schon auf den Weg gemacht haben.

Können Sie ein Beispiel nennen?
Am DFKI führen wir mehr als 300 Projekte zusammen mit der Industrie durch. Zum Beispiel mit den Agrarunternehmen Claas und John Deere. Sie haben KI in ihre Produkte eingebaut – schon länger, um Fahrzeuge auf dem Feld autonom zu steuern, nun aber auch, um Früchte auf dem Feld automatisch zu bewerten. Die KI ermittelt bei der Ernte die Qualität der Kartoffeln und setzt teilautomatisch Preise dafür fest. Das mussten bisher Menschen übernehmen. Auch zusammen mit Volkswagen beispielsweise entwickeln wir KI fürs Qualitätsmanagement. Wir wollen erreichen, dass KI die Qualität von Produkten nicht erst am Ende der Fertigung prüft, sondern bei jedem einzelnen Fertigungsschritt. Das Ergebnis wäre eine Null-Fehler-Fertigung.

Wie schnell werden solche Lösungen unverzichtbar sein, um auf dem Markt zu bestehen?
Dass KI in der Zukunft in jeder Branche eine Rolle spielen wird, ist klar. In einige Jahren werden wir beispielsweise kaum einen Prozess sehen, bei dem ein Mensch den Eingang eines Dokuments verarbeitet. Wir setzen beim DFKI heute schon KI in der Rechtsabteilung ein, um zum Beispiel Kooperationsverträge zu bewerten, ob da ungewöhnliche Klauseln enthalten sind.
Ich glaube aber nicht, dass KI wie eine riesige Revolutionswelle durch die Industrie peitscht. Erst muss die Technologie in den Köpfen der Manager und Mitarbeiter ankommen, die neuen KI-Werkzeuge müssen in die bestehenden Prozesse integriert werden. Das kostet Zeit.

Ein Roboter spielt Air-Hockey. Quelle: DFKI

Bei Elon Musk klingt das anders. Der sagte kürzlich, KI werde schon in zwei Jahren übermenschlich schlau sein und so genannte künstliche allgemeine Intelligenz erreichen.
Da glaube ich nicht dran. Schauen Sie sich etwa die gesamte sensomotorische Intelligenz an, die ein Mensch mitbringt: Ihre Hände können einen Faden in ein Nadelöhr fädeln und genauso einen acht Kilogramm schweren Bierkasten die Treppe hochschleppen. Ich sehe nicht, dass wir in dem Bereich in wenigen Jahren eine menschenähnliche Intelligenz erreichen werden.

Musk will bei Tesla mit seinem humanoiden Roboter Optimus schon bald die gesamte Fabrikarbeit automatisieren.
Humanoide Roboter werden auch in den nächsten Jahren nicht alles in der Fabrik erledigen können, dafür sind viele Abläufe im Produktionsumfeld zu speziell. Aber ich kann mir vorstellen, dass es sehr bald robotische Komponenten geben wird, die man schneller anlernen kann als bisher und die mit einem größeren Maß an Unsicherheit umgehen können. Die Technologie hat zuletzt einen riesigen Schub gemacht auch dank der neuen Generation der Generativen KI.

Das sind die KI-Modelle hinter Systemen wie ChatGPT, die Texte schreiben oder Bilder analysieren. Wie machen die Roboter besser?
Generative KI liefert uns einen Baustein, den wir in der Robotik bisher nicht hatten: Das Weltwissen – also, was eine Tasse ist, was ein Löffel, was ein Teller. Die KI-Modelle sind also sehr sicher darin geworden, Gegenstände zu erkennen. Auch können KI-Systeme aus immer mehr realen Robotikeinsätzen lernen – Daten aus der Interaktionen von Robotern mit Werkstücken oder aus der Ansteuerung der Motoren eines Greifarms. Roboter lernen Aufgaben auch zunehmend aus Videos, die einzelne Tätigkeiten zeigen. Darum sehen wir neuerdings Roboter, die unsichere Situationen und Alltagsaufgaben viel besser meistern als vorher - die Spülmaschine einräumen, Kochaufgaben in der Küche erledigen.

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Werden diese Roboter dann von US-Unternehmen Tesla kommen oder auch aus Europa?
Die europäische Industrie ist in dem Bereich ziemlich gut aufgestellt. Wir haben einige Unternehmen, die seit langem mobile Roboter bauen oder Cobots, also Greifarme, die Gegenstände packen können. Auch im Bereich der Exoskelette haben wir gute Anbieter in Deutschland. All diese Unternehmen haben das technologische Know-How, die nächste Generation von Robotern zu bauen. Es kommt jetzt darauf an, dass wir uns in Europa nicht auf unserem Automatisierungs-Vorsprung ausruhen – sondern massiv ins Digitale investieren.

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