Generative KI „Wir befinden uns auf dem Höhepunkt des Hypes. Aber es folgt kein Crash“

Generative KI ist derzeit der größte Trend. Quelle: imago images

Die US-Beratungsfirma Accenture setzt groß auf Künstliche Intelligenz. Eine riskante Strategie angesichts des aktuellen Hypes? Technologie-Chef Paul Daugherty ist vom Gegenteil überzeugt – und warnt die Wirtschaft.

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WirtschaftsWoche: Ich habe ChatGPT nach dem größten Risiko gefragt, das Accenture durch seine Drei-Milliarden-Dollar-Wette auf Künstliche Intelligenz eingeht. Die KI antwortete, es könnte sich nur um einen Hype handeln, der nicht hält, was er verspricht. Sehen Sie das auch so?

Paul Daugherty: Bei KI ist der Überschwang gerechtfertigt. Wir halten generative KI für den größten Trend der Technologieevolution seit den 70 Jahren und der Erfindung des Computertransistors. Solch eine Technologie mit Implikationen, die Arbeit jedes einzelnen ändern können, das gab es noch nie. Weil die Technologie so menschenähnlich ist, kann man sie so gut einsetzen. Eine neue Studie zeigt: Die Technologie hat Einfluss auf 46 Prozent aller Arbeitsstunden in Deutschland. Klingt das nach einer Blase? Ich meine, eher nicht.

Immer mehr Studien überschlagen sich mit immer größeren Zahlen. Ist da keinerlei Übertreibung dabei?

Es stimmt schon, wir befinden uns auf dem Höhepunkt des Hypes. Aber ich glaube nicht, dass dem ein Crash folgen wird. Denn diesmal komprimiert sich der Zeitraum zwischen dem Hype und der Marktreife deutlich. Vor 15 Jahren habe ich unser Cloud-Geschäft gegründet. Es dauerte fünf Jahre, um damit eine Milliarde Umsatz zu erreichen. Unser Geschäft mit generativer AI hat diese Marke in 18 Monaten erreicht, nachdem die Technologie überhaupt erfunden war. So schnell ging das noch nie.

Paul Daugherty. Quelle: Presse

Zur Person

Accenture hat im vergangenen Quartal 600 Millionen Dollar Umsatz mit KI generiert – das ist im Vergleich zum Gesamtgeschäft von 21,4 Milliarden im gleichen Zeitraum aber noch winzig.

Wir haben uns von 340 Millionen Dollar im letzten Jahr auf eine Milliarde in den ersten sechs Monaten dieses Jahres bewegt. Es stimmt, noch ist der Anteil von generativer KI an unserem Umsatz gering. Aber die Technologie ist nicht nur relevant für unseren Umsatz, sondern auch dafür, wie wir selbst in Zukunft arbeiten. Deshalb investieren wir auch in KI für unseren internen Gebrauch, etwa in Amethyst, unsere eigene GenAI-Applikation, die Mitarbeitern ihre Fragen zu Accenture als Arbeitsplatz beantwortet.

In Deutschland testen viele Unternehmen KI gerade kostenlos. Gibt es eine Schätzung, wie viele sie auch gegen Gebühr anschaffen werden?

Die meisten, die experimentieren, kaufen später auch bezahlte Modelle. Weltweit sind das drei Viertel der Unternehmen. In Deutschland aber herrscht eine konservativere Haltung vor: Hier sagen drei Viertel der Unternehmen, dass sie auf Sicht von fünf Jahren keinen Bedarf sehen. Das ist meiner Meinung nach ein Risiko: Wenn man bei etwas abwartet, dass sich so schnell bewegt wie KI, riskiert man, abgehängt zu werden.

Gerade der Mittelstand fühlt sich wohl in der Rolle des „Second Mover“, der erstmal zuschaut, wie andere sich mit nicht ausgereifter Technologie die Finger verbrennen.

Die Zeit wird zeigen, wer Recht behält. Ich halte das Risiko, nichts zu tun, für sehr groß. Dabei ist Deutschland eigentlich sehr gut positioniert bei KI. Es ist weltweit Nummer zwei bei der Anmeldung von KI-Patenten. Es gibt großartige Hochschulen, viele gut ausgebildete Experten und interessante KI-Startups. Deutschland hat eine großartige Ingenieurs- und Innovationskultur. Dazu gibt der EU AI Act einen sehr guten rechtlichen Rahmen, der anderen Ländern fehlt.

Der Einzelhändler Otto-Gruppe hat KI getestet und ist zum Schluss gekommen, dass ihre Angestellten pro Woche 30 Minuten Zeit einsparen. Lohnt sich dafür die Investition von im Schnitt 30 Euro pro Mitarbeiter und Monat?

Es ist entscheidend, den richtigen Ort zu erkennen, wo der Einsatz von KI in einem Unternehmen ihr Potential hebt. Manche Unternehmen wählen einen engen Anwendungsfall, wie zum Beispiel die allgemeine Bereitstellung von ChatGPT für alle Mitarbeiter ohne die notwendige Anpassung an das eigene Geschäft oder entsprechend aufgesetzte Schulung. Richtiger wäre es, Tätigkeiten zu finden, wo der Einsatz von KI mehr Wachstum generieren kann. Dann bettet man eine maßgeschneiderte Lösung in sein Geschäftsmodell ein. Nur zehn Prozent der Firmen haben ihre Daten und Daten-Architektur bereits vollumfänglich so aufbereitet, dass sie ihre Daten in ein GenAI-Modell einspeisen können. Und nur 13 Prozent aller Unternehmen haben schon systematisch KI-Regeln eingeführt, die einen ethischen Umgang mit der neuen Technologie sicherstellen.

Die Energiepreise sind in Deutschland stark gestiegen. KI aber braucht eine extrem große Rechenleistung – ist das ein Problem?

Der Energieverbrauch von KI ist ein großes Problem. Wenn Unternehmen sich für ein Modell entscheiden, ist der Energieaufwand neben den eigentlichen Kosten die wichtigste Kennzahl, weil er auch einen Einfluss auf die Nachhaltigkeits-Ziele des Unternehmens hat. Man muss das energieeffizienteste Modell für eine Anwendung finden und es weiter optimieren. Es gibt aktuell 800 Modelle zur Wahl.

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von Matthias Hohensee

Manche Softwareprogrammierer halten die Vorschläge, die KI ihnen fürs Coding ausspuckt, für nicht sehr hilfreich. Generell braucht es ewig viele Prompts, bis etwas Originelles herauskommt.

Im Coding sehen wir eigentlich gute Resultate. Es ist kein Zauberwerkzeug, das automatisch Programme für Sie schreibt, aber es hilft bei vielen Aufgaben wie etwa der Dokumentation und steigert die Effizienz. Es wird auch viel übertrieben, was die Nützlichkeit von allgemeinen Codierungsmodellen angeht. Ein Modell ist nur so gut wie der Inhalt, mit dem man es trainiert.

Accenture selbst will 80.000 Berater für KI-Aufgaben trainieren. Wie weit sind Sie – und ist der Bedarf wirklich so groß?

Die Geschwindigkeit ist da. In dem Jahr, seit wir uns das Ziel setzten, haben wir die Anzahl unserer hochqualifizierten Data- und KI-Experten von 40.000 auf 53.000 erhöht. Neben spezialisierten Schulungen, für die wir auch Partner wie die Stanford University nutzen, führen wir GenAI-Schulungen für alle unsere Mitarbeiter ein und haben bereits über 250.000 von ihnen weitergebildet. Nur ein kleiner Teil unseres Ziels wird durch Akquisitionen erreicht.

Hat Accenture dafür vom ehemaligen Google-Technologieguru Sebastian Thrun die virtuelle Uni Udacity gekauft?

Wir haben bereits einen sehr effektiven Lernmotor für die skalierte interne Weiterbildung. Den wollen wir jetzt auch unseren Kunden zur Verfügung stellen, weshalb wir LearnVantage auf den Markt gebracht haben – Udacity bietet dafür die geeignete Plattform. Wir nutzen aber auch andere Plattformen wie Coursera. 

Accenture will weltweit drei Milliarden Dollar in KI investieren. Reicht das, um relevant zu bleiben?

Drei Milliarden Investment sind wirklich eine Menge, wenn man das mit anderen Unternehmensberatungen vergleicht. Hinzu kommt: Das Geld, das wir investieren, multipliziert den Wert der auf Seiten der KI-Anbieter wie Microsoft, Google oder Amazon getätigten Investitionen. Denn wir sind der größte Partner für die meisten dieser Unternehmen. Und unser Ziel ist es, der Erste zu sein, der ihre Produkte in den Markt trägt.

Es gibt schon den Trend zur Konzentration im nagelneuen KI-Feld. Ist das problematisch angesichts der Sorge, dass KI eines Tages auch die Kontrolle über die Menschheit gewinnen könnte?

Diese Sorge halte ich für einen Nebenkriegsschauplatz. Das viel größere Risiko als unsere Übernahme durch die KI ist, dass Menschen KI für schlechte Zwecke missbrauchen. Leistungsstarke Large-Language-Modelle sind inzwischen schon im Dark Web unterwegs und werden eingesetzt, um Cyber-Attacken durchzuführen. Auch die starke Zunahme von Falschinformationen muss im Fokus stehen.

Sie schreiben jedes Jahr den „Tech Vision“-Report für Accenture. Es ist nicht einfach, jedes Jahr neue relevante Trends zu erkennen. Nutzen Sie da auch generative KI?

Wir nutzen die KI in dem Prozess, um uns zu informieren – nicht um den Report zu schreiben. Jedes Jahr ist es eine Herausforderung, die Zukunft so zusammenzufassen, dass der Report auch von neuem überrascht. Dieses Jahr packt die Idee „Human by Design“ das Geschehen besonders gut. Bislang wurde der Fortschritt der Technologie in technologischen Standards gemessen, wie die Rechenleistung pro Nanometer Chip. Jetzt aber messen wir den Fortschritt daran, wie stark eine Technologie sich der menschlichen Art annähert. 

Deshalb sind Sie jetzt so begeistert von generativer KI?

Wir erkennen auch ihre Grenzen. Generative KI ist nicht gut beim Vorhersagen, sie ist besser im Zusammenfassen und Zusammenfügen. Probleme hat sie mit Mathematik, auch für viele Prozesse entscheidende zeitliche Analysen gelingen ihr nicht gut. Noch ist generative KI auch nicht gut im emotionalen Verstehen. Deshalb muss man unsere menschlichen Fähigkeiten mit KI bündeln.

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