Standort Deutschland Bürokratie lähmt Wirtschaft – 40 Prozent wollen Beschäftigung in Deutschland reduzieren

Teures Deutschland: Besonders energieintensive Branchen leiden unter den Standortbedingungen. Quelle: dpa

Immer mehr Unternehmen leiden unter der ausufernden Bürokratie. Viele Branchen sehen sich bereits zu Abwanderungen gezwungen – mit Folgen für den Standort Deutschland.

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Im Maschinenraum der deutschen Wirtschaft ertönt der Alarm seit Monaten – und er wird immer lauter. Mittlerweile scheint er auch in Berlin zu hören zu sein, doch wirksame Lösungen blieben bisher aus. Daher versuchen bereits viele der Konzerne, Mittelständler und Weltmarktführer in Deutschland aus eigener Kraft mittels Umstrukturierungen gegenzusteuern. Manche sehen ihre Zukunft schon nur noch in anderen Teilen der Erde, egal ob in Nachbarstaaten, den USA oder China.

Um möglichst viele Unternehmer wenigstens an diesem drastischen Schritt zu hindern, müsse Deutschland agiler werden, betonte die Wirtschaftsweise Veronika Grimm jüngst im Interview mit der WirtschaftsWoche. Zentral hierbei ist der Abbau der ausufernden Bürokratie, die schon lange auf den großen und kleinen Unternehmen lastet. „Sie können sich nicht vorstellen, wie lange es gedauert hat, die Genehmigung für den Abriss des alten Büros zu bekommen“, erzählt etwa Christoph Koch, Geschäftsführer der Unternehmensgruppe Hüttenes-Albertus aus Düsseldorf. Der Unternehmer sieht sich immer wieder mit derartigen Hürden konfrontiert und mahnt daher die Politik: „Deutschland bleibt nur zukunftsfähig, wenn die Regierung endlich diesen Bürokratiewahnsinn stoppt“.

Flucht ins Ausland

Mit seinem Frust über die langwierigen Planungsverfahren ist der Düsseldorfer nicht alleine. In Verbindung mit weiteren Standortproblemen wie hohen Energiepreisen halten gut ein Drittel von gut 1000 Unternehmen (36 Prozent), die die DZ Bank aktuell befragt hat, deshalb eine Umstrukturierung kurzfristig für relevant. Unter Umstrukturierungen verstehen Unternehmen etwa betriebsbedingte Kündigungen, den Verkauf von Unternehmensteilen oder Standortveränderungen. Eine Neuausrichtung von Produktion oder Unternehmenstätigkeit halten drei von zehn Mittelständlern hierzulande für notwendig.

Das seien fast doppelt so viele wie noch vor einem Jahr auf dem Höhepunkt der Energiekrise, wie die Volkswirte des genossenschaftlichen Spitzeninstituts am Montag einordneten. Derzeit denken demnach vor allem Mittelständler in energieintensiven Branchen wie der Chemieindustrie und dem Ernährungsgewerbe über eine Umstrukturierung nach.

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Vier von fünf befragten Firmen (81 Prozent) sind der Auffassung, dass Deutschland aufgrund der Krisen der vergangenen Jahre an Wettbewerbsfähigkeit verloren hat. Immerhin 46 Prozent und damit fast die Hälfte der gut 1000 Teilnehmer sind der Ansicht, Deutschland sei aktuell der „kranke Mann Europas“.

In einer weiteren Kernbranche Deutschlands stimmt man ähnliche Töne an. Der Verband der Automobilindustrie (VDA) sieht in seiner Umfrage die Belastung durch Bürokratie auf einem Höchststand. Die deutsche Bürokratie binde Kapazitäten, verursache hohe Kosten, sei zeitaufwendig und kompliziert.

Die Probleme seien so groß, dass sie sich sogar auf die Investitionspläne der Unternehmen auswirken. Mehr als ein Drittel will Investitionen ins Ausland verlagern, 40 Prozent wollen auch ihre Beschäftigung in Deutschland reduzieren. „Es gilt, gegenzusteuern und regulatorisches Klein-Klein durch langfristige Strategien für mehr Wettbewerbsfähigkeit zu ersetzen“, betonte daher VDA-Präsidentin Hildegard Müller unlängst.

Bemühungen der Politik

Die Forderungen und Nöte sind also klar, doch was tut die Politik? Vorschläge gibt es viele und einige wurden bereits in Gesetze geschrieben, so wie beispielsweise das Wachstumschancengesetz von Finanzminister Christian Lindners (FDP). Das soll Impulse für mehr Wachstum, Investitionen und Innovationen setzen.

Der Erfolg werde jedoch überschaubar bleiben, wie das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kürzlich bilanzierte. Das Gesetz gehe zwar in die richtige Richtung, aber „der Effekt auf die Investitionstätigkeit und das deutsche Bruttoinlandsprodukt“ falle „voraussichtlich gering“ aus, kommentierten die Experten. Demnach würden durch das Gesetz maximal 9000 zusätzliche Stellen geschaffen und Anlageinvestitionen um etwa 0,6 Prozent höher ausfallen als ohne die Steuererleichterung.

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Immerhin wurde inzwischen dem Wunsch nach Entlastung beim Strompreis nachgegangen. Am Donnerstag einigte sich die Bundesregierung auf ein Paket aus mehreren Teilen: So soll unter anderem neben einem bereits beschlossenen Zuschuss zu den Netzentgelten, die Teil des Strompreises sind, die Stromsteuer für alle Unternehmen des produzierenden Gewerbes auf den in der Europäischen Union zulässigen Mindestwert gesenkt werden. Die geplante Senkung soll zunächst für die Jahre 2024 und 2025 gesetzlich geregelt werden.

Mit Material der dpa

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