Sonderurlaub für Eltern Bezahlte Freistellung nach der Geburt: Diese Firmen zeigen, wie es geht

Mehr Zeit für den Nachwuchs: Siemens Energy und Henkel preschen vor. Cisco hat schon länger Sonderregelungen. Quelle: Getty Images

SAP hat einen bezahlten Sonderurlaub für Väter mit Verweis auf eine fehlende Gesetzesgrundlage wieder abgeräumt. Dabei braucht es die gar nicht, zeigen Henkel, Cisco und eine Wirtschaftskanzlei. Siemens Energy setzt noch einen oben drauf.

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Als Carsten Knobel Vater wurde, arbeitete er zwar schon für Henkel, aber die Zeiten waren ganz andere. Bezahlter Sonderurlaub für den Mann war vor 25 Jahren kein Thema. Heute ist Knobel Vorstandsvorsitzender des Konsumgüterkonzerns und räumt allen 50.000 Mitarbeitenden weltweit mehr Zeit mit der Familie ein. Henkel erlaubt jungen Eltern, acht Wochen lang bei vollen Bezügen zu Hause zu bleiben. Frauen und Männern.

In Deutschland deckt der Mutterschutz diese Zeit für Frauen ohnehin ab, in anderen Ländern nicht. Mehr als 85 Prozent der Henkel-Belegschaft arbeitet nach Unternehmensangaben im Ausland. Deswegen sieht Knobel in dem Programm „ein starkes Signal“ für Geschlechtergerechtigkeit, gleiche Karrierechancen – und potenzielle Bewerberinnen und Bewerber.

„Wir stellen fest, dass Themen wie Vielfalt, Chancengerechtigkeit und Work-Life-Balance für Mitarbeitende immer wichtiger werden“, sagt Knobel der WirtschaftsWoche. Und das gelte eben sowohl für die bestehende Belegschaft als auch für die, die überlegen dazuzukommen. Insofern sei er „sehr zuversichtlich“, dass die ausgerufene Elternzeit Henkel „noch attraktiver für junge Talente“ mache.

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Dieses Motiv verfolgt offenbar auch Siemens Energy. Der Energietechnikhersteller hat Henkels Angebot jetzt sogar noch überboten und um freie Tage nach einem Todesfall in der Familie und für die Pflege von Angehörigen ergänzt.

„Konkret sieht die Regelung bei der Geburt oder der Adoption eines Kindes wie auch bei der Aufnahme eines Pflegekindes 14 Wochen bezahlte Freistellung von der Arbeit für einen und weitere zwei Wochen für einen zweiten Sorgeberechtigten vor, sofern keine vergleichbaren landesspezifischen Regelungen dafür existieren“, schreibt der Dax-Konzern in einer Pressemitteilung.

Im Todesfall der Partnerin, des Partners oder eines Kindes gibt es bis zu fünf freie Tage. Drei Tage gewährt Siemens Energy, wenn ein Elternteil stirbt. Wer Familienmitglieder pflegt, kann fünf bezahlte freie Tage pro Jahr erhalten, „sofern vom jeweiligen landesspezifischen Gesetzgeber keine vergleichbaren gesetzlichen Standards existieren“, wie es heißt.

Arbeitsdirektor Tim Holt sagt, es gebe „persönliche Ereignisse im Leben, die den beruflichen Alltag in den Hintergrund treten lassen“. Es liege in der Verantwortung des Unternehmens, jeden einzelnen dabei zu „unterstützen, Familie und Beruf auch in besonderen Lebensumständen vereinbaren zu können, ohne finanzielle Einbußen oder gar den Verlust des Arbeitsplatzes befürchten zu müssen“.

Noch stehen Siemens Energy und Henkel mit ihren freiwilligen Urlaubstagen ziemlich alleine da. Unter den 40 Dax-Unternehmen haben die wenigsten ein solches Programm. SAP rief eine ähnliche Initiative, die der Softwarehersteller vor einem halben Jahr öffentlichkeitswirksam verkündet hatte, sogar wieder zurück. Die Begründung: Pläne der Koalition in Berlin, die nicht wie geplant umgesetzt worden seien. Tatsächlich schafft es das Bundesfamilienministerium seit mehr als zwei Jahren nicht, eine im Koalitionsvertrag vorgesehene Regelung in ein Gesetz umzumünzen. Zuletzt sprach Ministerin Lisa Paus (Grüne) von einer zweiwöchigen bezahlten Auszeit für Partnerinnen und Partner nach der Geburt eines Kindes. Parallel zum Mutterschutz.

Henkel und Siemens Energy beweisen: Es geht auch ohne Gesetz. Wie viel Geld die unternehmensinterne Elternzeit Henkel kostet, lasse sich nicht vorhersagen, teilt eine Sprecherin mit. Ein riesiger Faktor dürfte sie indes nicht sein. Eher indirekt: Ihr Gehalt bekommen die Eltern schlicht weiter ausbezahlt, nur arbeiten sie eben nicht. Und das führt zu Mehraufwand für den Teamleiter, der die Arbeit umverteilen muss. Mehrkosten entstehen, wenn Ersatzpersonal eingestellt wird.

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Carsten Knobel sagt, die Politik habe für das Programm keine Rolle gespielt. In 80 Ländern, in denen Henkel vertreten ist, gelten 80 verschiedene Gesetze. „Aber natürlich hoffen wir, mit unserer Initiative einen positiven Impuls in Richtung Politik und anderer Unternehmen zu setzen – in Deutschland wie auch in anderen Ländern“, kommentiert der Vorstandschef.

Ganz allein ist er damit nicht. Der IT-Dienstleister Cisco bietet dem Elternteil, das sich hauptsächlich ums Baby kümmert, 13 Wochen lang das normale Entgelt und dem unterstützenden, meistens dem Vater, vier Wochen. „Speziell in Amerika haben wir damit nicht unbedingt ein Alleinstellungsmerkmal“, sagte Katrin Hartmann, Cisco-Personalchefin für Deutschland, im Interview mit der WirtschaftsWoche. „Dort sind solche Angebote normaler, weil Eltern lange Zeit gesetzlich kaum Elternzeit bekommen haben.“

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So wie Henkel und Cisco sieht auch die Wirtschaftskanzlei Freshfields zusätzliche Elternzeit, die über das gesetzliche Minimum hinausgeht, als besonderen Anreiz für hochqualifizierte Mitarbeiter mit Plänen zur Familiengründung. Freshfields zahlt zwei Monate zur gesetzlichen Auszeit obendrauf, im ersten Monat das volle Gehalt, im zweiten Monat 75 Prozent. In der Kanzlei geht man davon aus, dass diese Option nun durch den Wegfall des staatlichen Elterngeldes „noch attraktiver wird“. Seit April haben darauf nur noch Paare Anspruch, deren zu versteuerndes Einkommen unter 200.000 Euro liegt.

Etwas komplizierter, dafür langfristiger geht Freshfields-Konkurrent Noerr das Thema an. Dessen Familienzeit dauert bis zu zwölf Monate und beginnt für Väter nach der Geburt des Kindes und für die Mütter nach dem Ende des gesetzlichen Mutterschutzes. In den ersten sechs Monaten erhalten Eltern die Hälfte ihres Gehalts weiterhin – ohne zu arbeiten. In den nächsten zwei bis maximal sechs Monaten können sie bei reduzierter Arbeitszeit wieder einsteigen.

Bei SAP können in den ersten acht Wochen nach der Geburt eines Kindes nach wie vor alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen ihre Arbeitszeit ohne Gehaltseinbußen um 20 Prozent reduzieren. Der Unmut innerhalb der Belegschaft ist trotzdem groß. Neben der abgesagten erweiterten Väterzeit verursachten eine Order an alle Beschäftigten, künftig wieder an drei Tagen pro Woche bei Kunden oder im Büro zu sein, und die Ankündigung eines neuen Bewertungssystems einen Imageschaden.

Der europäische Betriebsrat beklagte in einem Brief an den Vorstand, den mehr als 2000 SAPler unterschrieben haben, die Stille des Managements. CEO Christian Klein müsse sich erklären, forderten die Unterzeichner.

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Ende Januar beantwortete Klein bei der Vorlage der Geschäftszahlen für das Jahr 2023 Fragen zur Büropräsenz. Einen Schaden für die Marke SAP als Arbeitgeber sieht er nicht. „Wir bekommen Top-Leute, Datenanalysten überall auf der Welt“, konstatierte der Vorstandschef. „Unsere Fluktuationsrate ist auf einem Allzeit-Niedrigwert. Wir sind also eine sehr gute Unternehmensmarke, die wir zukunftssicher machen und weiter ausbauen.“ Väterzeit hin oder her.

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Hinweis: Dieser Artikel erschien erstmals am 26. Januar 2024 bei der WirtschaftsWoche. Wir haben ihn aktualisiert.

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