Tauchsieder

Wie umgehen mit China?

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Russland ist eine Abbruchdiktatur, China eine Aufbruchstyrannei

Sage später niemand, er habe es nicht kommen sehen können. Der „chinesische Schwan“ ist schneeweiß. Die Rehabilitation Chinas ist nicht nur das polithistorische Zentralprojekt der KPCh, sondern auch nationalphilosophische Staatsdoktrin: China versteht sich vor allem als ethnisch geeinte Zentripetalkraft – als „Reich der Mitte“, das in den nächsten zwei Jahrzehnten, traditionell ausgestattet mit dem „Mandat des Himmels“, seinen ihm gebührenden Platz in der Weltgeschichte einnimmt. Als regionale Führungsmacht, die ihre asiatischen Nachbarn mit Entwicklungs- und Prosperitätsversprechen in ihren Bann zu ziehen versteht. Als „natürlichen Hegemon“, der kraft Autorität und Macht, Strenge und Güte letztlich alle Welt von den Segnungen tributpflichtiger Beziehungen wird überzeugen können. Die „Wiedervereinigung“ mit Taiwan, noch einmal, ist kein Horrorszenario für die Wirtschaftswelt. Sondern eine vorerst unrealisierte Gewissheit, mit der unbedingt zu rechnen ist.

Dennoch ist China nicht Russland. In wohlbestimmter Hinsicht sogar ganz im Gegenteil. Russland ist eine Abbruchdiktatur. China eine Aufbruchstyrannei. Beide Regime eint der Wille zur Unterdrückung aller Kritik, zur Ausschaltung der Meinungsfreiheit, zur Kontrolle ihrer Bevölkerungen und zur gewaltsamen Durchsetzung ihres Machtanspruchs. Und doch ist nichts irreführender als die gedankliche Parallelführung von Russland und China unter dem Eindruck ihrer „unverbrüchlichen Freundschaft“.

Die meisten Chinesen haben den berechtigten Eindruck, nie besser regiert worden zu sein als in den vergangenen 40 Jahren. Ihre persönliche Freiheit (im Sinne Dahrendorfscher „Lebenschancen“) war nie größer als heute. Ihr Lebensstandard hat sich so schnell und stark verbessert wie nie zuvor in der 2200-jährigen Geschichte des Landes. Man könnte auch sagen: Die kommunistischen Kader haben das mit Abstand erfolgreichste Modernisierungsprojekt der jüngeren Menschheitsgeschichte initiiert.

Der Ökonom und China-Experte Jacob Gunter erklärt, wie trickreich China subventioniert und warum die Gefahr für die deutsche Wirtschaft und ihren Mittelstand immer größer wird.
von Thomas Stölzel

Und sie haben das vor allem geschafft, weil sie nicht den gängigen Rezepten des „Washington Consensus“ gefolgt sind, weil sie, anders als etwa Russland, sich nicht schnell, sondern behutsam geöffnet, ihre Märkte und Industrien geschützt, Kapitaltransfers kontrolliert und ausländische Firmen konsequent in Kooperationen gezwungen haben. Die gefesselte Entfesselung der Marktkräfte. Planwirtschaftskapitalismus at its best. Das verdient bis heute Respekt und tiefe Anerkennung.

Und man muss diese Dissonanzen schon aushalten, wenn man den kritischen Blick auf China richtet: Während Putin die letzten Tropfen Gas und Öl aus der russischen Erde presst, um mit den Erträgen seiner fossilen Feudalwirtschaft Cyberkrieger und Schlagstockpolizisten, Desinformationsprofis und Generäle hochzurüsten, haben Chinas Kader mit Sonderwirtschaftszonen, orchestrierten Technologieimporten und groß angelegten Infrastrukturmaßnahmen eine halbe Milliarde Menschen der Armut entrissen. Während Russland sich der Welt nurmehr als gestrige und destruktive Kraft aufdrängt mit dem Export von fossilen Brennstoffen und Falschnachrichten, mit den Fertigkeiten seiner Hackersoldaten und Militärmaschinerie, punktet China mit künstlicher Intelligenz und avancierter E-Mobilität – als technologischer Superstaat von heute und morgen.

Eine wirtschaftliche Sofortentkopplung von Russland ist daher wenig komplex und einfach kalkulierbar – von China dagegen undenkbar. Zur Erinnerung: Das Volumen des Handels zwischen Deutschland und China war Angaben des Statistischen Bundesamtes zufolge 2023 mit 252,6 Milliarden Euro rund doppelt so groß wie das Volumen zwischen Deutschland und den fünf größten nachfolgenden Handelspartnern in Asien (Japan, Südkorea, Indien, Taiwan und Malaysia).

Was Deutschland im Umgang mit China bleibt

Noch einmal also: Was tun? Die Welt wird mit einem machtanspruchsvollen China leben müssen. Dieses China wird vorläufig von einem Alleinherrscher und kommunistischen Kadern regiert, die die Menschenrechte dem Völkerrecht unterordnen und die „Wiedervereinigung“ Chinas erzwingen werden. Darauf muss der Westen, muss Deutschland reagieren. Nicht mit rigorosem Friendshoring. Sondern mit dem ebenso vorsichtigen wie entschlossenen Rückbau des Geschäfts in China und der Diversifizierung seiner Lieferketten, mit der Minimierung seiner volkswirtschaftlichen Elementarrisiken und der Maximierung seiner ökonomischen Resilienz, mit dem Schutz kritischer Infrastrukturen und der Identifikation systemischer Schwachstellen. Und mit dem Angebot politischer Partnerschaft und wirtschaftlicher Verflechtung zugleich – sollte sich China entschließen, die internationale Ordnung vielleicht doch wieder protegieren zu wollen.

Dabei geht es zugleich darum, die Weltgemeinschaft davon zu überzeugen, dass Chinas „Politik der Nichteinmischung“ ganz und gar nicht der Entwicklung „der Menschheit“ dienlich ist, sondern in den meisten Fällen das selbstbereichernde nation building von Theokraten und Kleptokraten camoufliert und protegiert, von Diktatoren und Scheichs, Mullahs und Generälen, die auch im global vernetzten 21. Jahrhundert noch universalistische Werte zurückweisen, um Frauen unterdrücken, Journalisten einsperren, Minderheiten umerziehen und politische Gegner ermorden zu können.

Der Westen wird eingedenk seiner kolonialen Vergangenheit und interventionistischen Misserfolge (Irak, Afghanistan) seine weltpolitischen Eingriffe zugunsten der Menschenrechte dabei streng begrenzen, ökonomischen Interessen konsequent entziehen und besser denn je begründen müssen, sonst wird es nichts.

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Und die Konzerne? Nun, Global Player wie BASF, Siemens und VW dürfen mit ihren betriebswirtschaftlichen Entscheidungen kein volkswirtschaftliches Klumpenrisiko für Deutschland mehr darstellen, darauf sollte Olaf Scholz die Manager am besten noch während des Hinflugs hinweisen: Sie dürfen vom Kanzler verlangen, dass er sich für ein „level playing field“ einsetzt. Und sie werden – wie jeder Mittelständler – wieder lernen müssen, sich auf eigene Rechnung in der weiten Welt zu bewegen, mit allen Risiken und Nebenwirkungen: speziell in China.

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