Bundeswehr „Kriegstüchtig“ – ja, was denn sonst?

Pistorius erregte mit seiner Aussage viel Aufsehen. Quelle: dpa

Der Verteidigungsminister sagt Selbstverständliches – und Deutschland wundert sich. Europa muss darauf vorbereitet sein, sich auch ohne die USA verteidigen zu können. Ein Kommentar.

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Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat ein kleines Stück verbal abgerüstet: „Wir müssen uns auch darauf einstellen, dass wir im äußersten Fall angegriffen werden könnten. Dann müssen wir in der Lage sein, einen Verteidigungskrieg zu führen“, sagte er jetzt der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (FAZ), nachdem sein „wir müssen kriegstüchtig werden“ vor ein paar Tagen Empörungswellen auslöste.

Für beide Aussagen aber gilt: Ja, was denn sonst? Soll der Verteidigungsminister sagen: „Wir haben zwar ein paar Panzer, aber Krieg führen, uns verteidigen, nee, das können und wollen wir nicht“? Abschreckung kann nur funktionieren, wenn sie durch Verteidigungsfähigkeit und -willen unterlegt ist. Sonst kann man es auch bleiben lassen mit dem Militär, und beten, dass zumindest unsere Verbündeten irgendwie abschreckend wirken. Mit Säbelrasseln hat das nichts zu tun.

Dass Selbstverständlichkeiten für aufgeregte Debatten sorgen, überrascht allerdings nicht in einem Staat, der sich Jahrzehnte über eine vermeintliche Friedensdividende freute, die Wehrpflicht abschaffte und die heruntergerüsteten Reste seiner Armee auch mental an den Rand der öffentlichen Wahrnehmung schob. 

Schneller schlau: Bundeswehr

Der russische Überfall auf die Ukraine änderte das zumindest ein Stück weit, liegt sie doch schon geographisch sehr viel näher als die außereuropäischen Krisenherde, zu denen Deutschland seine Berufssoldaten regelmäßig abkommandiert. Dazu reifte die Erkenntnis, dass auch Deutschland bedroht ist, wenn niemand Putin Einhalt gebietet. „Nein, wir sind nicht mehr von Freunden umzingelt, sondern haben in Russland einen veritablen strategischen Gegner, der von anderen autoritären, bis an die Zähne bewaffneten Staaten wie China, Nordkorea und dem Iran aktiv unterstützt wird,“ warnt die ehemalige Nato-Strategin Stefanie Bapst. 

Die Massaker der Hamas in Israel schockten, weckten Mitgefühl und verstärkten dieses Gefühl der subjektiven Bedrohung noch, trafen sie doch Menschen, die ihren friedlichen Alltag lebten wie alle im Westen, völlig unvorbereitet. Selbst die israelische Armee brauchte am Feiertag viele Stunden, bis sie die Lage einigermaßen unter Kontrolle hatte. Mancher fragt sich jetzt, wie lange das wohl in Deutschland gedauert hätte – wo die Bedrohungslage natürlich eine ganz andere ist. Dahinter steckt das Unbehagen, dass wir in Sachen Verteidigung „mehr oder weniger blank“ dastehen, wie es der Inspekteur des Heeres im Februar 2022 formulierte.

Von der Zeitenwende ist wenig zu sehen

Bundeskanzler Olaf Scholz versprach dann in seiner oft beschworenen Zeitenwende-Rede Verbesserungen, doch seitdem ist wenig passiert. Die Zeitenwende bleibt mehr Anspruch als Wirklichkeit, und das gilt auch für die Verteidigungsausgaben. Das 100-Milliarden-Sondervermögen wurde vor allem für Großgerät verplant, allen voran für den Tornado-Nachfolger F35 und schwere Transporthubschrauber. Munition – die Bundeswehr ist weit von dem von der Nato geforderten Vorrat für 30 Tage entfernt – mehr Personal und bessere Ausrüstung der Soldaten müssen weitgehend aus dem regulären Wehretat finanziert werden, der ursprünglich ohne Einberechnung der 100 Milliarden dauerhaft auf zwei Prozent des Bruttoinlandprodukts gehoben werden sollte. Davon ist Berlin aber längst wieder abgerückt.  

Konsumtive Staatsausgaben wie Bürgergeld oder Kindergrundsicherung und uferlose Subventionen für Klimaschutz scheinen wichtiger, ganz zu schweigen von den Ausgaben, die durch ungesteuerte Migration noch auf den Staatshaushalt zukommen.    

Mit einem Irrtum gilt es zudem aufzuräumen: 100 Milliarden Sondervermögen liegen nicht als Festgeld bei der Bundesbank, sondern sind bisher nur geplante neue Schulden. Zieht man die zu erwartenden Zinsen für die kommenden Jahre ab – die Rendite zehnjähriger Staatsanleihen liegt bei drei Prozent – und kalkuliert noch Preissteigerungen ein, dann wäre es schon ein Erfolg, wenn von den 100 Milliarden am Ende real noch zwei Drittel ausgegeben werden können.  

Das aber ist zu wenig, zumal die ohnehin schwachen deutschen Waffen- und Munitionsbestände durch Lieferungen an die Ukraine weiter ausgedünnt werden. Die Rüstungsindustrie stünde bereit, aber ihre Manager brauchen Planungssicherheit, sprich: Die Garantie, dass Deutschland in den kommenden Jahren fixe Mengen Waffen und vor allem Munition einkauft.  

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Die USA stehen zu Israel und der Ukraine, doch das muss nicht zwangsläufig so bleiben, wenn der Krieg im Nahen Osten sich ausweitet und noch mehr Anstrengungen der Amerikaner erfordert, wenn der Konflikt mit China eskaliert – oder wenn sich im Wahlkampf und bei den Präsidentschaftswahlen die Isolationisten des „America First“ durchsetzen. Das mag noch sehr entfernt klingen, aber ausgeschlossen ist das alles nicht – und Europa wäre im Ernstfall auf sich allein gestellt. Deutschland sollte darauf vorbereitet sein.

Lesen Sie auch: Deutschland steht an der Seite Israels. Aber wo stehen die Deutschen? Eine Kolumne.

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