Diplomatie

Wie viel Platz haben Werte und Moral in der Außenpolitik?

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Die Deutschen und ihre flache Welt

Das alles heißt natürlich nicht, dass deutsche Außenwirtschaftspolitiker und Manager nicht mehr mit Vertretern von Ländern sprechen und Geschäfte abschließen sollen, die dem ideellen Wert der Menschenwürde in der politischen und ökonomischen Praxis weniger Beachtung schenken: Wir Europäer zuletzt haben unseren Selbstansprüchen speziell im 19. und. 20. Jahrhundert genügt und sollten uns Belehrungen sehr weitgehend enthalten.

Aber das heißt sehr wohl, diese Werte und ihre institutionellen Garanten (liberale Rechtsordnung, Meinungsfreiheit, demokratische (ab)gewählte Regierungen) entschieden gegen ihre Feinde zu verteidigen und sie gegenüber neutralen Partnern und uns selbst möglichst konsequent zu „leben“: aus Überzeugung. Das heißt sehr wohl, einem Russland politisch (und militärisch) die Stirn zu bieten (und ökonomisch konsequent den Rücken zuzukehren), das sich entschieden hat, uns feind sein zu wollen. Das heißt sehr wohl, sich einem Land wie China, das machtvoll auf eine Abschaffung universaler, individueller Rechte gegen den Staat zielt, um alle Menschen dieser Erde zu Mitteln je staatlicher Entwicklungszwecke egal welcher Regierungen zu verzwergen, besser nicht auszuliefern.

Viele in der SPD – parteinahe Historiker wie Heinrich August Winkler haben es gerade noch einmal herausgestrichen, auch manche in Union und FDP – siehe Markus Söder – lassen es diesbezüglich bis heute an einer „nötigen Klarheit“ fehlen. Sie treten gegenüber „moralisierenden Gutmenschen“ noch immer gern onkelhaft auf, annoncieren geschäftige Weltmännlichkeit gegenüber allem, was sie für „naiv“ halten und „gesinnungsethisch“ zeihen. Und merken dabei nicht einmal, dass der Naivitätsvorwurf längst auf sie und ihre hohlen „Wandel-durch-Handel“-Formeln zurückschlägt. Und dass demgegenüber etwa Robert Habeck oder Annalena Baerbock, von gelegentlichen  Belehrungspatzern einmal abgesehen, außenwirtschaftspolitisch plötzlich wie eine „feste Burg“ erscheinen: eben weil sie ihre politische Praxis an der Norm eines „radikalen Universalismus“ der Menschenwürde messen und daher glaubhafter als andere vermitteln, sich in einer moralisch uneindeutigen Welt aus eher besseren denn schlechteren Gründen zuweilen auch „die Hände schmutzig machen“ (Habeck) zu müssen.

Die Ängste der Wirtschaft

Und die Wirtschaft? Sie hat traditionell Angst vor einer „wertegeleiteten Außenpolitik“: Kapital geht bekanntlich gern dahin, wo es die günstigsten Bedingungen zu seiner Vermehrung findet – also auch nach China oder Russland, ganz egal. Viele Manager haben sich drei Jahrzehnte lang Francis Fukuyamas These vom „Ende der Geschichte“ vorgebetet – und mit Thomas Friedman nur zu gern an die Utopie einer „flachen Welt“ geglaubt, die sich nicht zuletzt dank ihrer Hilfe realisiert: eine Welt der friktionslosen Handelsbeziehungen, die die Menschen einander näher bringt und pazifiziert. Welcher Diktator, so prostete man sich bei jedem Geschäftsabschluss zu, werde sich am Ende nicht überzeugen lassen von den technologischen Errungenschaften der westlichen Moderne, den Vorzügen des zivilisatorischen Fortschritts – den Annehmlichkeiten einer deutschen Luxuslimousine?

Nie mehr abhängig – seit Russland die Ukraine vernichten will und Europa den Gashahn abdreht, eskaliert die Kritik an China. Das hat Gründe, ist aber politisch irreführend – und moralisch selbstgefällig.
von Dieter Schnaas

Die Deutschen haben von dieser flachen Welt ausweislich ihrer Handelsbilanzüberschüsse bis zuletzt besonders profitiert, ihre Autos und Maschinen, Schrauben und Laubbläser in alle Winkel der Erde verkauft – und sich im Windschatten politischer Konflikte nahezu unbehelligt freuen können über Weltmarktführerschaften und Exportrekorde. Putin hat diesen entgrenzten, globalisierten Welt-Raum nun wieder in regionale Einflusszonen geschrumpft, ihn parzelliert in Eingriffsgebiete und Sphären nationaler Interessen, ihn markiert als geschichtlichen Boden und territorialen Anspruch – das ist die „Zeitenwende“, auf die sich deutsche Politiker und Manager einstellen müssen: Die gut drei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer waren die Scheinblüte einer liberalen Weltordnung. Die Wirtschaft hat geglaubt, sie in diesem Sinne verändern zu können. Es kommt aber darauf an, ihre Unordnung richtig zu interpretieren.

Schluss in China?

Und – wie geht es dann weiter? Ist für Unternehmen bald auch in China Schluss? Nein, vorerst nicht. China bedroht noch keine deutschen Unternehmen in Deutschland, keine europäischen Nationen in Europa, so wie Russland. Und China hat (nicht nur) die (wirtschaftliche) Freiheit vieler Millionen Menschen in seinem Land in den vergangenen 40 Jahren dramatisch erhöht, das gilt es anzuerkennen. Es geht um De-Risking, nicht De-Coupling. Um eine Reduzierung der Risiken, nicht um eine Abnabelung. Um Distanzgewinnung zu einem politischen Antagonisten, nicht um Hostilität. Das ist das eine. 

Das andere: Der Welt-Raum weitet sich in den nächsten Jahrzehnten nicht mehr zum neoliberalen „dominium“ einer grenzenlos agierenden Wirtschaft, sondern wird künftig (wieder) von Groß- und Mittelmächten nationalpolitisch als „Imperium“ bewirtschaftet, in allererster Linie von China. Das zeigt nicht nur die nach Afrika und in den Mittleren Osten ausgreifende „Seidenstraße“ und die „unverbrüchliche Freundschaft“ zwischen China und Russland, aber natürlich auch die US-geführte „Allianz der Demokratien“.

Das alles muss nicht auf eine ideologische oder geografische Blockbildung hinauslaufen (Autokratien versus Demokratien, Asien-Afrika-Block versus Transatlantik), dagegen sprechen schon die starken Sonderinteressen von Ländern wie Indien, Indonesien, Japan, Südkorea, Brasilien, Südafrika. Im Gegenteil. Viel spricht dafür, dass (diesmal tatsächlich) eine multipolare Welt konkurrierender, sich vielfach kreuzender, nationaler, regionaler und weltanschaulich motivierter Interessen entsteht. Und es wäre wünschenswert, wenn auch die USA dabei ihre unilaterale Übergriffigkeit auf ein Minimum reduzierte und sich nurmehr in entscheidenden Momenten entschieden einmischte – so wie augenblicklich in der Ukraine.

Deutschland muss seine neue Rolle finden

Und Deutschland? Muss seine Rolle in dieser neuen Welt vor allem in einem Europa finden, das sich auf sich selbst und sein Bestes besinnt. Auf seine Rolle in einem Europa, dem Putin den Krieg erklärt hat. In einem Europa ohne Russland, das einmal unsere „Tankstelle“ (Öl, Gas) mit angeschlossenem „Bistrobereich“ (Getreide, Rohstoffe) war, so der Politikwissenschaftler Philip Manow – denn Putin hat es so gewollt.

Die „neue Weltordnung“ besteht vor allem darin, erneut und jederzeit mit der Möglichkeit von Zivilisationsbrüchen zu rechnen, mit dem Aufstieg von Potentaten und dem Dementi all dessen, was wir für realpolitisch und „vernünftig“ halten – sich endlich wieder zu wappnen für eine Welt, die von Menschen bewohnt wird, „wie sie sind und immer waren und sein werden“ (Jacob Burckhardt): mit einem moralischen Kompass in der Tasche. Denn in einer solchen Welt sind Demokratien und Rechtsstaaten nur so stark wie die Bereitschaft, sie unbedingt zu verteidigen.

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In einer solchen Welt heißt „wertebasierte Außenpolitik“, dass die Adressierung von Menschenrechts- und Freiheitsfragen nicht mehr als pflichtschuldig vorgetragenes Postscriptum gelingender Außen(wirtschafts)beziehungen verstanden wird, sondern am selbstbewussten Anfang aller Diplomatie steht. In einer solchen Welt kann eine „wertebasierte Außenpolitik“ nur so erfolgreich sein wie sie militärisch jederzeit abgesichert ist. Und in einer solchen Welt kann Europa nur dann seine Interessen erfolgreich verfolgen, wenn es sich auf der Basis seiner Werte auf eine gemeinsame Strategie verständigt, in der „Werte“ und „Interessen“  konvergieren – auch gegenüber China.

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