Tauchsieder

Freundschaft mit Israel?

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Israels Freunde wissen: Alle Welt leidet mit Gazas Unschuldigen

US-Präsident Joe Biden hat Israel gleich in den ersten Tagen freundschaftlich geraten, sich „nicht von seinem Zorn verzehren zu lassen“, nicht die „Fehler“ der USA nach dem Anschlägen vom 11. September 2001 zu wiederholen: eine  fast schon historisch zu nennende Selbstanklage der einstigen Supermacht. Ist Israels Premier Netanjahu seither auch nur in Ansätzen zu einer ähnlichen Korrektur seines Denkens und Handelns bereit, konkret: zur Infragestellung seiner Politik der forcierten Nicht-Verständigung mit den Palästinensern? Im Gegenteil. Es scheint fast, als bemühte sich Netanjahu, die Angriffe der Hamas, die als Statement elementarer Amoralität die Kette der politischen Gründe und Gegengründe im Nahost-Konflikt zerrissen haben, nachträglich kontextualisieren zu wollen.

Der französische Präsident Emmanuel Macron hat Israel früh ermahnt: „Der Kampf muss gnadenlos sein, aber nicht ohne Regeln, denn wir sind Demokratien, die gegen Terroristen kämpfen – Demokratien, die das Kriegsrecht respektieren und humanitäre Hilfe zulassen.“ Hat Netanjahu seine Regierung und Militärs je bedingungslos hinter diesem Satz versammeln wollen? Wer Zivilisten nicht schont, treibt sie in die Arme des Feindes, warnte bereits vor zwei Monaten US-Verteidigungsminister Lloyd Austin: „Und auf den taktischen Sieg folgt die strategische Niederlage.“ Kann Netanjahu, der sein sicherheitspolitisches Versagen am 7. Oktober 2023 mit Unerbittlichkeit zu kompensieren scheint und militärische Härte ersichtlich auch als Selbstabsicherung im Amt begreift, für diese Sätze überhaupt empfänglich sein?

Die Freunde Israels haben in den vergangenen Monaten keinen Zweifel daran gelassen, was sie nie vergessen werden: Legte Israel heute seine Waffen nieder, wäre es morgen ausradiert. Würden die Juden Israels nicht ihren 1948 mit dem Segen der UN gegründeten Staat verteidigen, würden sie abermals zu Hunderttausenden verschleppt, vertrieben, ermordet, weil sie Juden sind – diesmal von islamistischen Gotteskriegern.

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von Dieter Schnaas

Israels Freunde wissen: Alle Welt leidet mit den unschuldigen Frauen, Männern und Kindern in Gaza – nur nicht die Gewaltunternehmer der Hamas, die sie in Geiselhaft nehmen für ihre genozidalen Ziele, sie als Schutzschild missbrauchen, ihr Leid instrumentalisieren für propagandistische Zwecke – um mit Bildern der Zerstörung, der Armut und des Leids den Zorn der Islamisten in aller Welt bewirtschaften zu können.

Israels Freunde wissen: Die vier Kriegsziele des Landes (Befreiung der Geiseln, Sturz der Hamas, Zerstörung ihrer militärischen Kapazitäten, dauerhafte Sicherung des Staates) sind und bleiben legitim. Sie wissen, dass die islamische Welt nichts unternimmt, um ihre „Glaubensbrüder“, vulgo: die palästinensische Zivilbevölkerung vorübergehend zu evakuieren. Und sie wissen auch: „Free Palestine“ zählt zu den verlogensten Formeln der politischen Linken, weil nichts so sehr die Knechtschaft der Palästinenser garantieren würde wie ein von Gotteskriegern „befreites Palästina“.

Es ist daher merkwürdig und ernüchternd, dass der politische Diskurs in Deutschland über den Nahostkonflikt noch immer laut-binär und stumm-unentschieden zugleich ist: einerseits geprägt von einer peinlich postkolonialen Palästinenserverniedlichung speziell an Universitäten und in Künstlerkreisen, die vor allem auf Seiten einer sich staatsräsonal gebärdenden Politik mit herzbebenden Appellen zu einer apriorischen Solidarität mit „Israel“ in toto korrespondiert – und andererseits gelähmt von historischen Befangenheiten und kollektiven Schuldgefühlen, von  diffuser Antisemitismuspanik und Bekenntniszwängen im Freundeskreis.

Dabei ließe sich die Paralyse durch die angesprochene Unterscheidung – das eine Israel verdient aus Freundschaft unsere Solidarität, das andere Israel aus Freundschaft unsere Kritik – so leicht durchbrechen wie die Front der Lautsprecher auf beiden Seiten, wenn diese nur bereit wären, ihre Sprecherrollen aufzugeben und sich selbst ins Wort zu fallen mit dem gelegentlichen Gebrauch des Wörtchens „und“, dieser Zentralvokabel unserer widerspruchsvollen Moderne: Der Vernichtungswille der Hamas ist ein Abgrund und Israels Antwort auf den Terror unverhältnismäßig, kontraproduktiv, völkerrechtswidrig. Die Palästinenser sind keine Befreiungskämpfer und die israelischen Siedler sind religiöse Glaubenskrieger.

Der deutsch-israelische Philosoph Omri Boehm ist dem verbreiteten Unvermögen vieler Menschen, sich des Wörtchens  „und“ zu befleißigen, vergangene Woche auf den Grund gegangen. Boehm bekam für sein Buch „Radikaler Universalismus“ (2022) den Leipziger Buchpreis für Europäische Verständigung zugesprochen. In einer Dankesrede, die eher einer ungeheuer dichten Gedankenrede glich, unterschied Boehm im Rückgriff auf Aristoteles und Lessing scharf zwischen einer Brüderlichkeit, die partikulare Identitäten prämiert, ausgrenzende Loyalitäten fundiert und exklusive Gemeinschaften stärkt – und dem universellen Wert eines starken Begriffs von Freundschaft, die Kants „Sapere Aude“, seinem Ruf nach selbstständigem Denken den nötigen Raum eröffnet und eine liberale Öffentlichkeit überhaupt erst konstituiert.

Wenn der Freund dem Freunde seine Gedanken „eröffnet“, so Boehm, wird der Raum zwischen ihnen vom Licht der Aufklärung erhellt. Deshalb habe Lessing seinen Nathan ausrufen lassen: „Wir müssen, müssen Freunde sein.“ In diesem Sinne habe Kant von einer „Pflicht zur Freundschaft“ gesprochen: „Für Kant ist Aufklärung Menschlichkeit, die sich in der Freiheit, selbst zu denken, ausdrückt. Für Lessing ist sie Menschlichkeit, die sich in der Freiheit zur Freundschaft ausdrückt.“

Was heißt das konkret? Boehm sieht die Ideale der Aufklärung derzeit doppelt verdüstert – und das besonders deutlich im Licht jüdisch-palästinensischer Freundschaften. Es sei für stolze Palästinenser beschämend, vom „Massenmord“ am 7. Oktober 2023 „als ‚bewaffnetem Widerstand‘ zu sprechen“ und natürlich wüssten seine palästinensischen Freunde zugleich, „dass jeder, der das, was mein Land in Gaza tut, ‚Selbstverteidigung‘ nennt, meine Identität zutiefst beschämt“. Freundschaft, so Boehm, war „immer die Bewährungsprobe, die uns… vom grotesken Missbrauch abstrakter Ideen von bewaffnetem Widerstand und Selbstverteidigung geschützt hat“ – und vor dieser Bewährungsprobe stehe heute auch die deutsch-jüdische Freundschaft: Ihr „Wunder muss jetzt vor Entwertung geschützt werden“, so Boehm – zu ihrem Erhalt müssten jetzt „harte Wahrheiten… offen ausgesprochen werden“.

Das klingt gut – und überanspruchsvoll zugleich. Israel schlägt die „harte Wahrheiten“ seiner Freunde seit vielen Monaten in den Wind und riskiert mit der Freundschaft zu den USA seine Isolation auf der Weltbühne. Deutschland droht mit seiner „unverbrüchlichen Solidarität“ zum Gefangenen einer Staatsräson zu werden, die nicht zwischen dem „Israel“ als Schutzraum der Juden und dem völkerrechtsverletztenden „Israel“ Netanjahus zu unterscheiden weiß – und seiner Rolle als Freund immer dann am wenigsten genügt, wenn es etwa Israel in der Person von Reservekanzler Friedrich Merz versichert, wirklich „alles“ zum Schutz der Zivilbevölkerung zu unternehmen.

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Und das klingt erst recht wirklichkeitsfern, wenn man den Hass der Hamas und die Revanchegefühle der Israelis bedenkt: Wie soll hier (noch) das „Wunder der Freundschaft“ stattfinden, das „Licht der Aufklärung“ leuchten? Omri Boehm lehnt eine Zwei-Staaten-Lösung ab, redet statt dessen einer binationalen Konföderation das Wort: Sein Buch zum Thema heißt daher sehr treffend: „Israel – eine Utopie“. Gewiss, träumen darf man. Und dass abstrakte Ideen nicht nur wirklichkeitsmächtig sind, sondern für liberale Demokratien geradezu konstitutiv, zählt zu den Kernideen des Philosophen in „Radikaler Universalismus“ – dazu nächste Woche mehr. Aber fürs Erste ist Boehms ideales Israel der Wirklichkeit entrückter denn je.

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