Wirtschaft von oben #256 – Rüstungsinvestition Rheinmetall fertigt hier bald Munition für die Ukraine

Quelle: LiveEO/SPOT

Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine wächst der Rüstungskonzern Rheinmetall unaufhörlich. Exklusive Satellitenbilder zeigen: Vor allem Munitionsfabriken stehen an abgelegenen Orten. Nur das künftig wichtigste Werk ist aus ganz Europa schnell erreichbar. Wirtschaft von oben ist eine Kooperation mit LiveEO.

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Wie gut sich die Ukraine im Krieg gegen den Aggressor Russland behaupten kann, entscheidet sich nicht nur in westlichen Hauptstädten wie Berlin, Paris und Washington. Ebenso wichtig sind die Lüneburger Heide, Nordspanien oder die ungarische Region Veszprém.

An all diesen Orten erweitert der Düsseldorfer Rüstungskonzern Rheinmetall gerade die Produktion für das, was die Ukraine am nötigsten braucht zur Verteidigung: Munition. Der Konzern will ab 2025 allein dort – genauer: am Rand der Kleinstädte Unterlüß, Burgos und Várpalota – eine halbe Million Schuss pro Jahr herstellen.

Hinzu kommen rund 200.000 Geschosse aus einem halben Dutzend schon bestehender Werke buchstäblich aus aller Welt. Das beginnt im US-Bundesstaat Arkansas am Standort Camden und reicht über Südafrika mit gleich vier Fabriken der Tochter Denel bis nach Australien zu Rheinmetall Nioa in Maryborough an der Ostküste.

Die meisten Werke stehen jedoch in Europa. Drei liegen in Spanien und sind Töchter des Traditionsunternehmens Expal, das Rheinmetall im vergangenen Sommer für 1,2 Milliarden Euro gekauft hat. Es war der größte Zukauf in der Geschichte des Unternehmens. Dazu kommen Betriebsstätten in einem passenderweise Rüstorf genannten Ort in Österreich und bei Domusnovas auf der italienischen Insel Sardinien.

Sie und vor allem die neuen Werke machen Rheinmetall endgültig zum weltweit größten Munitionsproduzenten. Der Ausbau dient zwar erstmal der Hilfe für die Ukraine. Doch er verspricht auch viel Geld. Allein das Werk Unterlüß könnte laut Schätzungen für eine Milliarde Euro Umsatz sorgen, von dem erfahrungsgemäß ein Viertel als operativer Gewinn bleibt.

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Wie eine typische Munitionsfabrik arbeitet, zeigt sich nirgendwo so gut wie bei Burgos in der Ortschaft Quintanilla Sobresierra, im nordspanischen Kastilien. Schon in den 1970er-Jahren produzierte Expal am Rand des 70-Einwohner-Nests Sprengstoff. Nun sind es Artilleriemunition, Mörsergranaten und Mittelkaliber. Rund hundert Geschosse werden allein hier pro Tag produziert.


Die Lager und Hallen sind weit über das Gelände verstreut. Von der Verwaltung am Eingang, der sich auf den Bildern im südwestlichen Teil befindet, sind es fast ein Kilometer bis zur Fertigung und nochmals fast zwei bis drei Kilometer zu den Bunkern, in denen Pulver oder fertige Munition lagern. Die Distanz soll dafür sorgen, dass der Schaden möglichst gering ist, falls trotz aller Vorsichtsmaßnahmen doch mal eine Ladung hochgeht.

Mit dem Expal-Kauf hat Rheinmetall nicht nur zusätzliche Fertigungskapazitäten erhalten, die der Konzern für relativ wenig Geld modernisieren und ausbauen kann, bei niedrigeren Kosten als in anderen Werken. Mit Expal bekam Deutschlands größter Rüster Dinge, die in der Branche oft Mangelware sind. Dazu zählen mehrere Schmieden zur Fertigung von Geschosshülsen und eine Zünderfabrik. Mit ihren Teilen helfen die Spanier bereits anderen Werken im Konzern, in denen ansonsten fehlende Teile die Produktion bremsen würden.

Den größten Beitrag zum Munitionsgeschäft soll jedoch, wie etwa beim Panzerbau, der wichtigste Rheinmetall-Standort leisten: Unterlüß. Bereits 1899 baute hier, auf halbem Weg zwischen Hannover und Lüneburg, die „Rheinische Metallwaaren- und Maschinenfabrik Actiengesellschaft“ einen Schießplatz und später die erste Fabrik. Heute ist das rund 60 Quadratkilometer große Areal das größte private Test- und Produktionsgebiet in Europa. Darum bietet es Platz für alle Sparten im Konzern – und ist seit Beginn der Zeitenwende eine Art Dauerbaustelle.

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Die jüngsten Arbeiten fanden im Ortsteil Neulüß im Osten des Geländes statt. Hier sind gerade ein paar Erweiterungsbauten fertig geworden. Dort fertigt der Konzern jetzt mehr Kabinen für gepanzerte Lkw und seine bekannteste Komponente: die Glattrohrkanone, die in fast jedem besseren westlichen Kampfpanzer zum Einsatz kommt.

Bilder: LiveEO/SPOT, LiveEO/Sentinel

Und gleich gegenüber der nunmehr acht Hallen, auf der sogenannten Hundewiese, entsteht die neue Munitionsfabrik. Sie soll ab Ende 2025 bis zu 200.000 Schuss im Jahr liefern und die größte und modernste ihrer Art werden. Kein Wunder, dass zum ersten Spatenstich neben Bundeskanzler Olaf Scholz auch Dänemarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen anreiste. Dänemark gehört gemessen an der Größe zu den engagiertesten Unterstützern der Ukraine.

Zentraler Vorteil des Standorts Unterlüß ist die große Schießbahn. Auf dem 15 Kilometer langen Streifen können die Testingenieure nicht nur die Feinheiten der pro Schuss angeblich bis zu 7000 Euro teuren Munition ausprobieren, etwa dank der Kältekammer das Verhalten der Elektronik bei Tiefsttemperaturen. Rheinmetall kann gleich die vielen Panzer testen, die südlich der Bahn repariert oder modernisiert werden. Das gilt vor allem für die im Westen des Geländes teilweise jahrelang eingelagerten Kampfwagen vom Typ Marder oder Leopard, die von hier aus in den Einsatz in der Ukraine gehen.

Unterlüß, Südheide, Niedersachsen, Deutschland

06.03.2024: Die 15 Kilometer lange Schießbahn ist aus dem All gut erkennbar. Die Testingenieure können hier die Feinheiten der Munition ausprobieren.

Bild: LiveEO/Sentinel

Unterlüß hat noch mehr zu bieten. Dazu zählt die Forschung an neuen Modellen wie dem Schützenpanzer Lynx oder dem neuen Kampfpanzer Panther. Beide wurden hier erdacht. Gebaut werden sie jedoch erstmals rund 1000 Kilometer südlich in Ungarn.

Dort, nahe der Kleinstadt Várpalota am Feriengebiet Plattensee, hat Rheinmetall kürzlich mit viel Werbung und politischer Prominenz den Start eines weiteren Munitionswerks gefeiert. Doch obwohl jeder in der Region den Standort kennt und das Gelände selbst vom Weltraum aus bald nicht mehr zu übersehen sein wird – „genaue Angaben zur Topographie des Werks können wir leider nicht machen“, heißt es auf Anfrage.

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Klar ist: Auch das neue Werk stillt noch nicht den enormen „shell hunger“, wie Ukrainer ihren Bedarf an Geschossen (Englisch: shells) nennen. Russland verschoss 2023 geschätzte vier Millionen Granaten, die Ukraine wohl nicht mal eine Million. Dem angegriffenen Staat fehlt der Nachschub. Darum baut Rheinmetall weitere Fabriken in Litauen – und bald an einem ebenfalls geheimen Ort im Westen der Ukraine. „Bis zum Jahr 2027 werden wir in der Lage sein, bis zu 1,1 Millionen Schuss (155mm Vollgeschoss) Munition pro Jahr zu liefern“, beschreibt ein Sprecher das Ziel.

Bilder: LiveEO/Google Earth, LiveEO/SPOT, LiveEO/Pleiades

Viel lieber als über die Orte der neuen Munitionswerke spricht die Konzernführung über eine andere Baustelle rund 100 Autominuten entfernt von der Geschossfabrik Várpalota. Dort bei Zalaegerszeg, nahe der Grenze zu Österreich, ist am Rande des Autotestgeländes Zalazone gerade das erste Panzerwerk des Konzerns fertig geworden. Aus der riesigen Halle mit der Adresse Rheinmetall út 1 sollen in diesem Jahr die ersten Kampfwagen Lynx rollen. Ab dem nächsten Jahr könnte dann der KF 51 „Panther“ folgen.

Auch auf die Zeit danach bereitet sich der Konzern mit einem neuen Werk vor. Das liegt zwar wie die Munitionsfabriken etwas abseits. Doch anders als diese ist es aus allen Teilen Europas bestens zu erreichen.

Bilder: LiveEO/Google Earth, LiveEO/Sentinel, LiveEO/Pleiades

Denn in Laarbruch am Niederrhein liegt der Flughafen Weeze, vor allem den Kunden von Billigfliegern ganz im Westen der Republik ein fester Begriff – und gleich nebenan die wichtigste Baustelle von Rheinmetall. Es wird das Werk, in dem das Unternehmen für den weltgrößten Rüstungskonzern Lockheed Martin ein zentrales Teil des Kampfjets F-35 produzieren soll.

Noch vor gut einem halben Jahr war hier rund 100 Meter südlich der Landebahn grüne Wiese. Seitdem geht es im Rekordtempo voran. Auf der hochaufgelösten Aufnahme von Anfang März sind erste Fundamente gut zu erkennen. Spätestens im Sommer soll das neue Werk vorzeigbar sein. Für 2025 hat Rheinmetall die Lieferung der ersten Teile zugesagt.

Das Risiko ist hoch. Praktisch ohne Erfahrung im Flugzeugbau will der Konzern ausgerechnet in dessen anspruchsvollstes Feld einsteigen: Tarnkappenbomber. Geht es schief, droht Rheinmetall ein Milliardenfiasko, unken Branchenexperten.

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