Bürgergeld Mehrheit der Jobcenter-Mitarbeiter sieht Bürgergeld kritisch

Wie denken Jobcenter-Mitarbeitende über das Bürgergeld? Quelle: imago images

Das Bürgergeld ist politisch hoch umstritten – wie aber denken die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Jobcentern über die Reform? Das DIW und die Uni Bochum fragten nach – und erhielten ein vernichtendes Urteil.

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Seit über einem Jahr ist das Bürgergeld-Gesetz in Kraft und seitdem ist es das große Streitthema zwischen den Parteien. Der CDU ist die Sozialleistung ein Dorn im Auge, eine Grundsanierung wird gefordert, die FDP plädiert für schärfere Sanktionen und die SPD verteidigt schlicht ihre Reform.

Treibende Kraft bei der Umsetzung der Bürgergeld-Regeln sind die Mitarbeitenden in den Jobcentern. Doch auch dort sieht eine große Mehrheit der Beschäftigten das Bürgergeld kritisch. Das hat eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) und der Uni Bochum ergeben, bei der rund 1900 Beschäftigte in sieben nordrhein-westfälischen Jobcentern befragt wurden. DIW-Studienautor und Sozialwissenschaftler Jürgen Schupp betont im Gespräch mit der WirtschaftsWoche, dass die Ergebnisse nicht repräsentativ seien, zeigt sich aber trotzdem „sehr überrascht von den negativen Ergebnissen“.

Denn stolze 60 Prozent der befragten Mitarbeitenden lehnt die Erhöhung des Regelsatzes ab: Das Bürgergeld war zu Jahresbeginn auf 563 Euro für Alleinstehende angehoben worden – ein Anstieg um etwa 12 Prozent. Auch mildere Strafen für Bürgergeldbezieher, die Termine oder Fristen versäumen, lehnen 73 Prozent der Jobcenterbeschäftigten ab. So konnte bisher den Beziehern der Regelsatz bis zu 30 Prozent gekürzt werden, allerdings nur gestreckt über mehrere Monate. Inzwischen kann das Bürgergeld für zwei Monate komplett gestrichen werden. Das gilt seit Ende März, war also während der Befragung noch nicht in Kraft.

Auffallend sind die von den Beschäftigten geäußerten negativen Folgen der Bürgergeldreform. Demnach wirkten sich die neuen Regeln auf Motivation, Anreize und Kooperation von Bürgergeldempfängern aus. Deutlich mehr als die Hälfte der Mitarbeitenden geht davon aus, dass sich die Motivation, die Anspruchshaltung, die Erreichbarkeit und die Mitwirkung von Kundinnen und Kunden verschlechtert habe.

Bürgergeld: Höhere Regelsätze für Kinder werden gelobt

Die Arbeitssituation und die Stimmung der Beschäftigten spiegele die polarisierte Debatte zum Thema Bürgergeld in Politik und Gesellschaft wieder, sagt Schupp. „Die Umsetzung solcher Reformen sind die Wirklichkeiten, die die Menschen im Jobcenter beschäftigen. Der ganze Streit und das Ringen rund um das Thema befeuern Ablehnung und Skepsis in der Bevölkerung und unter den Mitarbeitenden, anders als wenn das Gesetz in großer Einigkeit auf den Weg gebracht wird.“ Schupp schlägt vor, das Thema aus Streitdebatten rauszulassen, „bevor wirklich die Wirkungen klar sind“.

Die Politik habe zu hohe Erwartungen an das Bürgergeld. „Wenn man sagt, dass das die größte Arbeitsmarktreform seit 20 Jahren ist, legt das die Erwartungsebene sehr, sehr hoch“, so der Studienautor., „Die Beschäftigten haben immer noch genauso viele Kunden und der Grad der Bürokratisierung und Digitalisierung ist komplexer geworden.“

Positiv beurteilen die Jobcentermitarbeiter dagegen die höheren Regelsätze für Kinder sowie das verbesserte Coaching-Angebot für Langzeitarbeitslose. Rund 60 Prozent der Befragten bezweifeln allerdings, dass die neuen Regeln für Bürgergeld-Bezieher einen großen Anreiz liefern, sich eine Stelle zu suchen.

Schupp betont, dass das Ergebnis und der Umgang im Jobcenter häufig von der Person abhänge, an die man im Jobcenter gerate. „Die einen loben, dass wir von der Behördensprache weg sind, weil sie jetzt eine bessere Basis haben, um eine Beziehung zu den Leistungsbeziehenden aufzubauen, andere wollen die Behördensprache wiederhaben.“ Das gleiche gelte für den Kooperationsplan, der die frühere Eingliederungsvereinbarung abgelöst habe. „Einige finden den großartig, andere sagen er sei nicht die Tinte wert, mit der er geschrieben wurde.“

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Trotzdem sollte der Sache noch Zeit gegeben werden. Als Anfang der 2000er das Hartz-Gesetz umgesetzt wurde, konnte ebenfalls eine negative Stimmung unter den Beschäftigten ausgemacht werden. „Eine Durchsetzung von Reformen ist immer Arbeit, aber eben auch eine Frage der Vermittlung durch die Politik.“

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