Wirtschaftsstandort Acht Stellschrauben, um den Wohlstand in Deutschland zu sichern

Die deutsche Wirtschaft stagniert. Doch mit einigen Schritten kann sie wieder in Schwung kommen. Quelle: imago images

Der deutschen Wirtschaft fehlt der Antrieb, um wieder in Schwung zu kommen. Im Jahresbericht der Stiftung Familienunternehmen beschreiben Ökonomen, wie der Motor starten kann – und welche Rolle der Mittelstand spielt.

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Schwindendes Wirtschaftswachstum, hohe Energiepreise und fehlende Fachkräfte: Die Probleme der deutschen Wirtschaft werfen weite Schatten. Die Automobilindustrie, die deutsche Vorzeigesparte, fährt bei der E-Wende der ausländischen Konkurrenz hinterher. Etliche Familienunternehmen verlagern ihre Standorte nach Osteuropa. Und die Unzufriedenheit von Wirtschaftsvertretern wächst.

Aus diesen Gründen haben sich die Ökonomen und Juristen des wissenschaftlichen Beirats der Stiftung Familienunternehmen mit der Frage befasst, wie der Wohlstand in Deutschland gesichert werden kann. Im Jahresbericht präsentiert Clemens Fuest, Präsident des ifo Instituts, acht Stellschrauben, an denen gedreht werden kann.

„Deutschland braucht eine wirtschaftspolitische Strategie zur mittelfristigen Stärkung der Angebotskräfte“, sagt Ökonom Fuest, „Mehr Investitionen in die öffentliche Infrastruktur, Entlastungen von Steuern und Bürokratie für private Investitionen und Reformen im Steuer- und Abgabensystem, damit Erwerbsarbeit sich lohnt, weniger kleinteilige und dirigistische Klima- und Umweltpolitik und nicht zuletzt ein Ausbau des Energieangebots in Deutschland“.

Was das im Einzelnen bedeutet:

1. Bürokratieabbau und Unternehmensteuerreform

Etwa 65 Milliarden Euro betragen die jährlichen Bürokratiekosten für die Wirtschaft, so beziffert es der nationale Normenkontrollrat. Zwar wurde Mitte März der Entwurf für das vierte Büroentlastungsgesetz von der Bundesregierung verabschiedet. Unternehmen sollen um 944 Millionen Euro entlastet werden, außerdem sollen künftig Buchungsbelege nur noch acht statt zehn Jahre aufbewahrt werden müssen.

Doch die großen Probleme bleiben unbeachtet: Es kommen immer noch neue Vorschriften dazu. Das zeigen unter anderem die Pläne der Grünen Familienministerin Lisa Paus: Für die Kindergrundsicherung sollen 500 neue Verwaltungsstellen geschaffen werden. Das kostet Personal und Zeit. So plant die Bundesregierung im Referentenentwurf mit 2,4 Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung. Etwa ein Viertel dieser Summe soll auf die Verwaltung entfallen.

2. Investitionen in Infrastruktur und Digitalisierung erhöhen

Eine bürokratische Entlastung könnte die Digitalisierung der Behörden und Unternehmen mit sich bringen. Ein wichtiges Projekt dafür: der Glasfaserausbau. Zwar soll Deutschland bis 2023 vollständig mit dem Glasfasernetz versorgt sein. Doch der Ausbau stockt und Experten vermuten, dass es bei dem derzeitigen Tempo bis zu zwei Jahrzehnte dauert, bis 70 Prozent der Kunden das Netz nutzen können.

Und auch in der Bevölkerung stößt der Glasfaserausbau an seine Grenzen, denn immer weniger Verbraucherinnen und Verbraucher wollen den teuren Anschluss finanzieren. So fordert Telekommunikations-Experte Klaus Hölbling: „Die Bundesregierung könnte analog zu der Förderung von Elektroautos eine Glasfaserförderung für Haushalte beschließen.“

3. Arbeitsmarkt stärken

Der demografische Wandel bringt den deutschen Arbeitsmarkt in Bedrängnis. Die geburtenstarke Generation der Babyboomer geht nach und nach in Rente. Nachfolgenden Generationen können die Lücken allerdings nicht füllen. Die Fach- und Arbeitskräfte fehlen in allen Bereichen. Deshalb müssen neue Anreize auf dem Arbeitsmarkt geschaffen werden.

Fuest hebt dafür drei Punkte hervor. Zum einen solle die Abstimmung der verschiedenen Sozialtransfers verbessert werden, dazu zählen staatliche Leistungen wie Bürger- oder Kindergeld. So forderte Finanzminister Christian Lindner (FDP) erst kürzlich ein „Update“ des Bürgergeldes. „Wir müssen alles unternehmen, dass Menschen, die arbeiten können, auch tatsächlich arbeiten“, so der Finanzminister.

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Ein Erwerbsanreiz könnten die Sanktionen für Bürgergeldempfänger sein. Ökonom Enzo Weber sagte erst kürzlich im WiWo-Interview: „Es geht nicht ohne Sanktionen, aber der Staat braucht das richtige Maß.“ Denn Menschen sollten nicht in schlechte und nicht nachhaltige Jobs gezwungen werden. Zudem hält er eine komplette Streichung des Bürgergeldes für problematisch.

Ein weiterer Anreiz könnte durch die Reform der Einkommenssteuer geschaffen werden. Denn durch die sogenannte kalte Progression, also die Auswirkung einer hohen Inflation auf die Einkommensteuer, könnte es zu einer Steuererhöhung kommen. In diesem Zug plane das Finanzministerium eine Steuerentlastung für die Bürgerinnen und Bürger. Als dritten Punkt führt der ifo-Präsident die vereinfachte Integration auf den Arbeitsmarkt von Zuwanderern auf. So geht das Fachkräfteeinwanderungsgesetz zwar einen Schritt in die richtige Richtung. Doch es reiche nicht aus. Es sei immer noch zu bürokratisch und viele Rahmenbedingungen seien in Deutschland nicht attraktiv, befürchten Kritiker.

4. Produktivität steigern

Die Produktivität in Deutschland ist den vergangenen Jahrzehnten merklich gesunken: Während sie in den 1970er-Jahren noch um rund fünf Prozent anstieg, waren es zuletzt weniger als ein Prozent pro Jahr. Ein strukturelles Problem, das die aktuelle Wachstumsschwäche begünstigt. Durch Förderungen von Innovationen und den Einsatz von flächendeckenden neuen Technologien, sowie der Förderung von Forschung und Entwicklung kann die Produktivität wieder angekurbelt werden. Ein wichtiger Punkt: Neugründungen, die durch Reformen erleichtert und erfolgreicher werden müssen. Allerdings können Gründungen allein den Strukturwandel in der Unternehmenslandschaft nicht bewältigen und die wegfallende Wertschöpfung der abwandernden oder unproduktiveren Unternehmen auffangen.

Dazu braucht es eine zusätzliche Stärkung des Mittelstandes – eine tragende Rolle des deutschen Wirtschaftsstandorts. So beschäftigen allein die sogenannten Hidden Champions, also mittelständische Unternehmen, die in einer Nische Marktführer sind, 1,16 Millionen Menschen. Das beweise ein „ein erhebliches, volkswirtschaftlich relevantes Potenzial“, schreibt Fuest in seiner Analyse. Zudem hätten viele Unternehmen noch die Chance, zu Hidden Champions aufzusteigen. „Dazu müssen die grundlegenden Bedingungen für unternehmerische Tätigkeit verbessert werden“, heißt es weiter.

5. Energieangebot sichern

Mit Russlands Angriff auf die Ukraine stellte Deutschland die Gaslieferung aus Russland ein. Doch das brachte den deutschen Wirtschaftsstandort in Bedrängnis. Die Energiepreise stiegen, Erdgas wurde verknappt und es drohte eine Gasmangellage.

Die Auswirkung: Die Produktion von energieintensiven Unternehmen schritt zurück. Eine Erholung blieb bisher aus. Bisher ist unklar, ob dieser Rückgang dauerhaft ist. Dennoch ist davon auszugehen, dass die Gaslieferungen aus Russland in den kommenden Jahren nicht wieder aufgenommen werden. Die Alternative Flüssiggas, auch LNG genannt, ist teurer. Dauerhaft wird demnach der Standort für energieintensive Unternehmen an Attraktivität einbüßen.

Deshalb müsse Deutschland das Energieangebot erhöhen und breit aufstellen, schreibt Fuest. Dafür müssen die Rahmenbedingungen an die verstärkte Rolle der erneuerbaren Energien angepasst werden. So müssen beispielsweise die Baugenehmigungen für Windräder schneller erteilt werden. Laut Angaben der Verbände dauert es rund zwei Jahre. Zudem besteht ein Mangel an passenden Flächen. Aus Branchensicht hemmt außerdem der Widerstand von Menschen oder Politikerinnen und Politiker den Ausbau.

6. CO2-Preis als Mittelpunkt der Dekarbonisierung

Die Dekarbonisierung in Deutschland schreitet voran. Doch sie läuft schleppend. Deshalb solle dabei weniger dirigistisch und kleinteilig vorangegangen werden, fordert Fuest im Jahresheft der Stiftung Familienunternehmen. Er schlägt deshalb vor, den CO2-Preis in den Mittelpunkt zu stellen.

7. Außenhandel verfestigen

Der deutsche Exportmotor stotterte im vergangenen Jahr. Der Wert der Warenausfuhren sank nach vorläufigen Daten des Statistischen Bundesamtes gegenüber dem Vorjahr um 1,4 Prozent auf 1562,1 Milliarden Euro. Eine Mehrheit der Exportbranchen erwartet demnach, dass ihre Exporte zurückgehen. Dazu gehören unter anderem die Automobil-, Maschinenbau- oder Elektrotechnikbranche.

Um die Exporte und auch die Importe wieder anzukurbeln, müssen neue Außenhandels-Abkommen forciert werden. Als Beispiel nennt Fuest Mercosur. Mit diesem Handel würde eine der größten Freihandelszonen der Welt zwischen der Europäischen Union und Südamerika entstehen. Dadurch könnte unter anderem die Abhängigkeit von der chinesischen Volksrepublik reduziert werden.

8. Staatsfinanzen neu priorisieren

Der Bundeshaushalt 2025 sorgt derzeit in der Ampelregierung für neue Diskussionen. Doch auch Clemens Fuest sieht bei den Staatsfinanzen Reformierungsbedarf. Dabei geht es nicht um die viel diskutierte Schuldenbremse, sondern viel mehr um die Umschichtung der Ausgaben.

So sollen bei dem Bundesetat neue Prioritäten gesetzt werden. Für Ausgaben in den Bereichen Verteidigung, Infrastruktur und Bildung soll mehr Raum geschaffen werden. Als weiteren Punkt beschreibt Fuest die Reform der sozialen Sicherungssysteme. Als Beispiel nennt er die Kopplung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung. Denn laut dem neuen Tragfähigkeitsbericht der Bundesregierung fehlen zukünftig bis zu 194 Milliarden Euro in der Staatskasse.

Denn: Deutschland ist nach der Analyse nicht ausreichend auf das Altern der Gesellschaft vorbereitet. Zwar legte die Bundesregierung erst im März ein neues Rentenpaket auf, jedoch löst dieses nicht die Problematik. Statt eine Festlegung zu treffen, dass das Rentenniveau nicht weiter absinkt, wird es dem aktuellen Niveau gehalten. Die Folge: Die Tragfähigkeitslücke könnte sich weiter vergrößern. Eine Erhöhung des Renteneintrittsalters könnte dafür eine Lösung sein.

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In seinem Beitrag erklärt Fuest: „Eine derartige umfassende Wachstumsagenda würde die Chance eröffnen, dass traditionelle Wertschöpfungsbereiche der deutschen Wirtschaft, die derzeit schrumpfen, durch eine Expansion in bestehenden oder neu gegründeten Unternehmen ausgeglichen werden.“

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